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Artikel vom 21.10.2007

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Wissenswertes

Farbenkünstler Herbst

Vom Blattgrün bis zum Lärchengold: Wie die Natur die Mischtechnik beherrscht

Von Urs Max Weber



Lärchengold am Saoseo-See, Puschlav. Alle Fotos: Urs Max Weber, Basel © 2007


Kurz bevor sich die Natur zur Winterruhe begibt, kleiden sich Bäume und Sträucher in ihr wohl schönstes Gewand. Wie die herbstliche Farbenpracht zustandekommt, blieb jedoch lange Zeit ein biologisches Rätsel.

Im Nebel ruhet noch die Welt,
Noch träumen Wald und Wiesen;
Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
Den blauen Himmel unverstellt,
Herbstkräftig die gedämpfte Welt
In warmem Golde fliessen.


So reimte einst der Schwabe Eduard Mörike in seiner Ode an den Herbst - in den eben so farbigen Zeilen, wie in allen vier von ihm dichterisch besungenen Jahreszeiten.




Wassertropfen auf «Kraftwerkdach».


Blattgrün – die Grundlage irdischen Lebens

Die Farbe der Blätter wird im Frühling und im Sommer weitgehend durch das Blattgrün, das sogenannte Chlorophyll bestimmt. Dieser «Stoff der Stoffe» ist die Grundlage für die wohl genialste Form der Energieumwandlung, und nur deshalb konnte die enorme Vielfalt an Leben auf der Erde entstehen. Blattgrün vermag die Lichtenergie der Sonne zu absorbieren, und mit Hilfe der Photosynthese wandeln die Blätter der Pflanzen diese Energie in Kohlenhydrate um.

1 Quadratmeter Blattfläche produziert rund 1 g Zucker pro Stunde. In den Pflanzen hat sich auf diese Weise fast die gesamte Biomasse der Welt angereichert (rund 90% davon ist allein in den Wäldern gespeichert). Die Tierwelt spielt im Vergleich dazu eine marginale Rolle!

Wenn sich im Herbst die Blätter verfärben und der «Indian Summer» im Nordosten der USA Millionen von Menschen in den Bann zieht, verschwindet jährlich weltweit mehr als eine Milliarde Tonnen Blattgrün! Trotz dieses gewaltigen Stoffumsatzes blieb das Schicksal des Blattgrüns lange Zeit verborgen. Der Forscher G.A.F. Hendry schrieb noch 1987: «... das Blattgrün verschwindet, ohne Spuren zu hinterlassen». 1991 gelang P. Matile von der Universität Zürich der Durchbruch, als er im Labor ein erstes Blattgrün-Abbauprodukt zu isolieren vermochte. Im Gegensatz zum grünen Chlorophyll war es farblos und wurde als NCC bezeichnet («nonfluorescent chlorophyll catabolite» - nichtfloureszierendes Chlorophyllabbauprodukt). Kein Wunder also, dass die Zersetzungsprodukte des Blattgrüns so lange Zeit schlichtweg übersehen wurden.

Die Farben des Herbstes

Unter den vielen Farbtönen des Herbstes fallen vor allem die gelben und roten auf. Die gelben Farben beruhen auf wasserunlöslichen Pigmenten, den sogenannten Carotinoiden. Sie sind bereits in den grünen Blättern vorhanden, wo sie den Energieumwandlungsprozess von Licht in Kohlenhydrate schützen, indem sie falsch weitergeleitete Energie in harmlose Wärme umwandeln. Die Carotinoide werden aber bis zum Herbst vom dominierenden Grün des Chlorophylls überdeckt und erst nach dessen Abbau sichtbar. Die roten Herbstfarben hingegen entstehen im Herbst durch die Bildung von sogenannten Anthocyanen. Diese sind übrigens auch für die «normale» rote Blattfarbe bei bestimmten Baumarten zuständig (z.B. Blutbuche oder Blutahorn). Weshalb beim Alterungsprozess rote Anthocyane entstehen, ist weitgehend ungeklärt.




Carotinoide sorgen für gelbe Herbstfarben(Zitterpappeln in den Rocky Mountains, Colorado, USA).




Anthocyane rufen rote Herbstfarben hervor (Rotahorn-Blatt, Nova Scotia, Kanada).


Wer einen Herbst in Nordamerika erleben durfte, wird sich der ausserordentlich schönen, kräftigen Farben der Bäume erinnern. Vor allem im Nordosten der USA und im Südosten Kanadas sind die (Laub-)Wälder ein einziger Farbenreigen, aus dem verschiedene Ahornarten besonders herausstechen. Aber auch in anderen Gebieten Nordamerikas ist der «Indian Summer» die eindrücklichste Jahreszeit.

Warum die Herbstfarben in Nordamerika intensiver als in Europa sind, kann nur vermutet werden. Das Phänomen lässt sich zwar salopp mit einer unterschiedlichen genetischen Veranlagung begründen, weshalb sich die Herbstverfärbung der Bäume auf den zwei Kontinenten aber so verschieden entwickelt hat, bleibt ein Rätsel. Immerhin, der Mechanismus des Blattgrünabbaus scheint in allen gemässigten Klimazonen derselbe zu sein. Weshalb aber bauen Pflanzen im Herbst das grüne Chlorophyll überhaupt ab?




Indian Summer in New Brunswick, Kanada.


Warum Pflanzen das Blattgrün abbauen

Eine noch immer geläufige Lehrmeinung sagt, dass Pflanzen das Chlorophyll abbauen, um den darin enthaltenen Stickstoff zurückzugewinnen. Dies ist jedoch nicht der Fall: Das Blattgrün wird nur bis zu den stickstoffhaltigen NCCs (siehe oben) abgebaut, die mit dem Fallen der Blätter verloren gehen. Auch in Nadelbäumen funktioniert das übrigens so.

Es gibt aber dennoch einen Zusammenhang zwischen dem Abbau des Blattgrüns und der Rückgewinnung beziehungsweise Umverteilung von Stickstoff. Der Gehalt an Stickstoff im Chlorophyll einer pflanzlichen Zelle beträgt lediglich zwei Prozent, in den sogenannten Apoproteinen, die für die korrekte Anordnung des Chlorophylls verantwortlich sind, ist hingegen viel mehr vorhanden. Wenn ein Blatt altert, zerfallen diese Chlorophyll-Protein-Komplexe. Die Proteine werden dabei zerlegt und abtransportiert (und damit auch der darin enthaltene Stickstoff), zurück bleibt nur das Chlorophyll.

Das nun nicht mehr geordnete Blattgrün könnte aber immer noch Lichtenergie aufnehmen, die aber unkontrolliert abgegeben würde (z.B. an Sauerstoff). Dabei entstünde sogenannt aktivierter Sauerstoff, der praktisch alle Zellbestandteile zerstören würde. Das Blattgrün muss deshalb nach der Rückgewinnung der Nährstoffe aus den Apoproteinen unschädlich gemacht werden. Der Abbau dieses für alles Leben auf der Erde so wichtigen Farbstoffes ist also nichts anderes als ein Entgiftungsprozess.




Ein Produkt der Entgiftung – Herbstblätter eines Essigbaumes, Ontario, Kanada.


Herbst zur Sommerzeit

Der Rekord-Trockensommer 2003 hat uns Dinge gelehrt, die kaum jemand für möglich gehalten hätte. So sind dem aufmerksamen Spaziergänger bereits Mitte Juli herbstlich verfärbte Bäume und Sträucher aufgefallen. Normalerweise wird die Verfärbung der Blätter durch einen markanten Temperatursturz und/oder die herbstliche Verkürzung der Tageslänge ausgelöst (Pflanzen können die Veränderungen der Tageslänge messen!).

Beides kann im Juli nicht der Fall gewesen sein, und so bleibt als Erklärung nur der extreme Trockenstress, dem manche Bäume geschickt mit einem vorzeitigen Einläuten des Herbstes ausgewichen sind. Andere Bäume an Extremstandorten, die nicht in der Lage waren, den Herbst zu simulieren, sind verdorrt. So sind beispielsweise an Extremlagen des von der Dürre besonders betroffenen Oberbaselbietes oder des Jurasüdfusses viele eigentlich an die Trockenheit angepasste Waldföhren abgestorben.




Herbstlicher Kirschbaum im Juli 2003, Oltingen, Oberbaselbiet.


Wenn Wissen nicht alles ist

Es ist ein Urdrang des Menschen, Dinge zu verstehen, das Unergründliche zu ergründen, das Unmögliche zu versuchen. Mit jeder neuen Erkenntnis der Wissenschaft und jedem neuen Trick der Technik laufen wir aber Gefahr, den Zauber der Schöpfung etwas weniger zu beachten, die Wunder der Natur als funktionalistische Selbstverständlichkeit hinzunehmen. Vielleicht verhält es sich mit den bunten Herbstblättern aber für einmal nicht so: Zwar wissen wir jetzt, dass sich das Blattgrün in unsichtbare Substanzen auflöst und so die zur Sommerzeit versteckten Farben der anderen Blattbestandteile erst sichtbar werden, aber: «so what»? Die Faszination, die das herbstliche Farbenfeuer in uns auslöst, kann reines Wissen nie hervorrufen.

Bernhard von Clairvaux sagt dazu: «Du wirst mehr in den Wäldern finden als in den Büchern. Die Bäume und Steine werden Dich Dinge lehren, die Dir kein Mensch sagen wird.»




Herbstblätter eines Zuckerahorns, Nova Scotia, Kanada.

Von Urs Max Weber


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