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Artikel vom 02.04.2005

Bücher

Vor Flauberts Todestag

Am 8. Mai 1880 starb der wortgewaltigste französische Schriftsteller; «Diogenes» widmet ihm zum 125. Todestag eine ganze Reihe hochinteressanter Neuauflagen

Von Jürg-Peter Lienhard



Mit dem Flobert auf Félicités Papagei zielen - oder doch lieber Gustave Flauberts Meisterwerk «Ein schlichtes Herz» lesen?



«Flaubert - ist das nicht ein deutsches Kleinkaliber-Gewehr?» Wen man heute in «le monde gérmanique» auf Flaubert anspricht, könnte öfters als vermutet, eine solche Antwort ausstossen… Gustave Flaubert, geboren am 12. Dezember 1821 in Rouen, wo er am 8. Mai 1880 ebenda starb, gehört neben Victor Hugo zu den herausragendsten Dichtern Frankreichs des 19. Jahrhunderts. Er wurde berühmt mit seinem Roman «Madame Bovary», der noch heute spannend zu lesen ist.

Um Flaubert zu entdecken, hat der Diogenes-Verlag in Zürich unter seinen Neuauflagen von Flauberts Werken ein dünnes Bändchen mit drei Geschichten herausgegeben - nämlich mit dem Titel «Drei Geschichten». Diese drei Geschichten sind quasi der Schlüssel zur Entdeckung Flauberts Erzählkunst.

Der Anfang macht die Erzählung «Ein schlichtes Herz», dessen Inhalt ebenso schlicht ist, wie die Sprache, aber von Zeile zu Zeile mehr fesselt: In der Erwartung, dass etwas «geschehe», geschieht «nichts», obzwar Madame Aubain und ihre Magd Félicité scheinbar lediglich «Alltägliches» verrichten, und die erst noch völlig unheroisch leben, wird dem Leser erst beim letzten Satz zu dieser meisterlichen Kurzgeschichte bewusst, dass er an einem unglaublichen Geschehnis teilgenommen hat. Dieses «Unheroische» hat es in sich: Es ist Flauberts «Erfindung» und prägte die modernen abendländischen Romanschreiber, die ihre Helden fortan nicht mehr als «Ausnahmepersonen» konzipierten, sonder sie «aus dem Leben» zu greifen begannen.



Erfinder des modernen Romans: Gustave Flaubert. Umschlag zu den Essays und Erinnerungen der Grössten der Grossen der abendländischen Literaturwelt.



Das ist die Erzählkunst Flauberts, der in den beiden anderen Geschichten von der «Legende von Sankt Julian» und «Herodias» jeweils einen Faden der Spannung spinnt, der bis zur letzten Zeile nicht abreisst! Unglaublich dicht ist die Geschichte «Herodias», worin er die Geografie Israels, die römische Hierarchie, die Machtsituation und das gesellschaftliche Drum und Dran sowie die Vielvölkerkultur im damaligen Judäa im Vorfeld der Enthauptung Johannes des Täufers schildert. Ein riesiger «Faktenberg», den er in einen kleinen Rahmen verwebt und damit ein unglaublich eindrückliches Bild komponiert. Auf lediglich 26 Seiten - aber eine «Kurzgeschichte» von dichtestem Inhalt.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass der französische Philosoph Jean-Paul Sartre in der Mitte des 20. Jahrhunderts erkannte: «Flaubert ist der Schöpfer des modernen Romans.» In einem weiteren Schlüsselwerk zu Flaubert mit dem Titel «Gustave Flaubert - Leben und Werk» (ebenfalls Diogenes), schreiben die grössten der Grossen der zeitgenössischen abendländischen Literatur Essays und Erinnerungen an den verehrten Schriftsteller. Heinrich Mann, beispielsweise, sagt, was die «Modernität» Flauberts ausmacht: «Von den drei vordersten Namen des Romans aus der Bürgerzeit (Anm. 19. Jhdt.) ist Balzac die Heldengestalt, Stendhal der immer Zeitgemässe. Aber der Heilige des Romans ist Flaubert.»

Vorbild selbst für die Grössten!

Und weiter in diesem Lobgesang ruft Oscar Wilde aus: «Ja! Flaubert ist mein Lehrmeister, und wenn ich vorankomme, werde ich Flaubert II. sein.» Auch für Maxim Gorki ist Flaubert ein Vorbild: «Wenn Sie mein Schriftstellerideal wissen wollen - es ist verwegen und sehr unbescheiden: Ich möchte schreiben können wie Flaubert. Jawohl!»

Wenngleich die Grossen seiner Zeit und der Gegenwart über Flaubert des Lobes voll sind, so ist er noch heute, oder erst recht heute, im allgemeinen Bewusstsein fast ebenso unbekannt, wie er bei seinem Tode am 8. Mai 1880 selbst in seiner Heimatstadt Rouen war. Sein Zeitgenosse Emile Zola (Anm. «J‘accuse!», «Ich klage an!» - eine zivilcouragierte Verteidigungsschrift für Alfred Dreyfus, dem in Frankreich am Vorabend des Ersten Weltkrieges aus antisemitischen Gründen angeblicher Landesverrat vorgeworfen wurde) nahm am Begräbnis Flauberts teil.

Ignoranten hat es immer schon gegeben!

In seinem Erinnerungsbericht beklagt Zola: «Aber unerklärlich, unverzeihlich ist und bleibt es, dass nicht Rouen, ganz Rouen, der Leiche eines seiner edelsten Söhne gefolgt ist. Man erwiderte uns, die Bewohner von Rouen, alles Kaufleute, kümmerten sich nicht um die Literatur…» Und: «Nicht die geringste Trauer war auf den Gesichtern dieser Maulaffen zu erblicken. Eine ganze Stadt lag in dumpfer Unwissenheit in den Banden der verdummenden Gewinnsucht.»

Wenn das keine Gründe sind, sich heute erst recht auf Flaubert zu stürzen (bildlich gemeint)…

Lesen Sie Biographisches und Literarisches unter den nachfolgenden Links.


Hier die wichtigsten Bücher Flauberts im Diogenes-Verlag, Zürich (alle auf deutsch):

Bouvard und Pécuchet
Roman
detebe 20725, 448 S.
Euro 10.90 / sFr 18.90

Briefe
detebe 20386, 816 S.
Euro 14.90 / sFr 26.90

Die Erziehung des Herzens
Geschichte eines jungen Mannes
detebe 20723, 624 S.
Euro 12.90 / sFr 21.90

Drei Geschichten
detebe 20724, 144 S.
Euro 7.90 / sFr 12.90

Leben und Werk
detebe 23513, 496 S.
Euro 12.90 / sFr 21.90

Leidenschaft und Tugend
Erste Erzählungen
detebe 23512, 272 S.
Euro 8.90 / sFr 14.90

Madame Bovary
Sitten der Provinz
Roman
detebe 20721, 464 S.
Euro 11.90 / sFr 20.90

Memoiren eines Irren
November, Erinnerungen, Aufzeichnungen und innerste Gedanken
detebe 23511, 304 S.
Euro 8.90 / sFr 14.90

Reisetagebuch aus Ägypten
detebe 21981, 240 S.
Euro 8.90 / sFr 14.90

Salammbô
Roman
detebe 20722, 400 S.
Euro 10.90 / sFr 18.90

Die Versuchung des heiligen Antonius
detebe 20719, 224 S.
Euro 8.90 / sFr 14.90

Werke in 8 Bänden in Kassette
2880 S., ISBN 3-257-23510-0
Euro 74.90 / sFr 125.90

Lesen Sie Biographisches und Literarisches unter den nachfolgenden Links.

Von Jürg-Peter Lienhard

Für weitere Informationen klicken Sie hier:

http://www.diogenes.ch/4DACTION/web_glob_showhtml/path=leser/autoren/index.html&ID=2485194

http://gutenberg.spiegel.de/autoren/flaubert.htm

http://www.frankreich-experte.de/fr/6/lit/flaubert.html

http://de.wikipedia.org/wiki/Gustave_Flaubert



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