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Artikel vom 05.02.2007

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Mit Stumm unterwegs

Suhlen im Biotop für Bücherwürmer

Was vierzehn Aussteller am 13. Basler Büchermarkt der Antiquare vom 2. bis 4. Februar 2007 in ihren Regalen zeigten, war von erster Qualität und stiess auf lebhafte Neugier

Von Reinhardt Stumm



Als Basler müsste man wissen, wer Emil Sinclair eigentlich war, zumal er den Nobelpreis für Literatur - allerdings unter seinem bekannteren Namen - erhielt… Bild: Erstausgabe von «Demian». Alle Legenden: jpl


Einer hat den, wie es aussieht, kompletten Rousseau – den alten, Jean-Jacques, den mit «La Nouvelle Héloise» und dem «Contract Social; ou Principes du Droit Politique. Par J.J.Rousseau, Citoyen de Geneve» und so fort. Erschienen 1762. Was das Werk damals kostete, weiss ich nicht, ich weiss, was es heute kostet: 45'000 Schweizerfranken. Dafür ist der Band «fast neu, etwas berieben, das obere Kapital mit kleiner Läsur».

Man muss also wieder Fachsprache lernen. Stockfleckig, berieben, unbeschnitten, Wurmspuren, bestossen, Falzeinrisse, Frasspuren, kurzrandig – und so fort. Alte Bücher! Die haben ja ihre Schicksale («Habent sua fata libelli», sagte der Lateiner).

Rousseau: Allein elf Titel des Franzosen bei der Moirandat Company für Bücher und Autographen an der Rittergasse 33. Daselbst aus beinahe derselben Zeit eine ganze Reihe von und über Pestalozzi – um einiges günstiger als Rousseau, von zweihundert bis tausendfünfhundert Franken – «Lienhard und Gertrud» zum Beispiel für fünfhundert, freilich nur die ersten zwei von vier Bänden, dafür die Erstausgabe von 1781 bei Decker in Frankfurt. Oder Gotthelf? Oder 20. Jahrhundert? Robert Walser? Oder Heines «Florentinische Nächte» mit Holzstichen von Imre Reiner – wer kennt Reiner noch (1900-1987), den Maler, Grafiker und Illustrator, der über fünfzig Jahre bei Lugano arbeitete, dessen Schriften (Corvinus, Matura) absolut geläufig sind? Die Moirandat Company hat doch ein Verhältnis zu ihm (am Ende sogar mit ihm)!

Aber das kann man ja von allen Antiquaren sagen. Alle stopfen ihre Läden mit alten Büchern voll, alle haben ihre Vorlieben, ihre Steckenpferde, ihre Goldschätze, von denen sie sich manchmal fast nicht trennen können, die sie aber doch verkaufen müssen, um leben zu können.

Im Dutzend konnte man dieser Gattung Bücherwurm am Wochenende vom 2./4. Februar 2007 wieder einmal beim Basler Büchermarkt begegnen, dem nunmehr 13. in seiner Geschichte. Die ersten Märkte waren noch im St.-Albantal, jetzt ist schon zum vierten Mal der Schmiedenhof Austragungsort. Wie früher waren es wieder 14 Teilnehmer (nicht immer dieselben!), dieses Jahr war sogar ein Gast-Antiquariat aus Genf dabei. Hat es dem Genfer in Basel gefallen? Er war belagert von Büchernarren, es muss ihm gefallen haben.

Gibt es eigentlich Moden in diesem Geschäftszweig, der natürlich die Bestseller von einst in den Regalen hat, aber doch nicht die von heute? Aber ja, erklärte mir einer der Herren. Und er hatte auch gleich ein paar Beispiele zur Hand. Marieluise Fleisser etwa, die bayerische Dramatikerin (1901-1974), eine Entdeckung von Brecht, deren «Pioniere in Ingolstadt» vor nicht allzu langer Zeit zum Repertoire moderner Bühnen gehörte. Vor ein paar Jahren konnte man gar nicht genug Fleisser herbeischaffen – jetzt fragt kein Mensch mehr danach.



Vorsicht vor Viren im Büchergestell: Erstausgabe von Schillers «Die Räuber» von 1781. Nur wenn man Bücher auch liest, wird man vom Inhalt angesteckt. Die einen sammeln sie wie früher die Höhlenbewohner Haselnüsslein, die andern lesen sie und werden Revolutionäre oder Menschen, die gegen Eigentumneurosen resistent werden…(jpl)


«Ja, und was machen Sie mit Büchern, die nun ums Verworgen niemand mehr haben will? Bücher brauchen doch auch Platz?» Die Antwort, von spürbarer Verlegenheit begleitet, ist doch unmissverständlich: Brockenhaus. Und von dort? Kehrichtverbrennung. Und dazu die Erinnerung an Erich Kästner, der 1933 sagte (natürlich und ganz gewiss in anderem Zusammenhang, aber der Satz fällt einem halt ein): «Wer Bücher verbrennt, verbrennt auch Menschen.»

Wie immer, es gibt auch im Antiquariat Moden. Wichtiger sind freilich die Kunden, die gezielt suchen, die sich auskennen, die sachkundig mit den Antiquaren diskutieren (auch die Preise) und die sich freuen wie kleine Kinder, wenn sie finden, was sie gesucht haben (und es bezahlen können).

Und da kommt die Sorge um die Zukunft ins Spiel. Wie lange gibt es noch den Kunden, der dickfellig nach einer Erstausgabe von Joseph Roth sucht, die er natürlich nicht findet – dann aber doch mindestens halbbefriedigt mit einem fast nicht stockfleckigen, nur leicht beriebenen Exemplar der «Geschichte der erotischen Kunst» von Eduard Fuchs (1908) abzieht – den wollte er ja eigentlich auch schon immer haben!

Wie lange gibt es noch diese merkwürdigen Experten, die dem Buchhändler den Unterschied zwischen der 2. und der 3. Auflage von Robert Walsers «Geschwister Tanner» erklären? Je mehr Bildungs-Hintergrund (oder Untergrund) verlorengeht, um so schwieriger wird es für einen Berufsstand, der uns noch so liebenswert wie unverzichtbar ist.

28 Buchantiquare und Graphik-Händler gibt es in Basel. Letztes Jahr waren es noch dreissig. Dafür hat sich das Johann-Peter-Hebel-Antiquariat vermehrt - um einen weiteren Laden (an der Oetlingerstrasse). Das ist, alles in allem, doch ein guter Stand der Dinge. Noch.

Wir drücken die Daumen (aus reinem Egoismus!).

Von Reinhardt Stumm


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