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Artikel vom 19.07.2004

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Bücher

Lesen, sehen und hören lernen

Goethe und Beethoven für Kinder und andere kluge Leut

Von Jürg-Peter Lienhard



Goethe für Kinder? Kein Problem, wenn man für die Sprache die richtigen Bilder in Wort und Ton vermittelt. Peter Schössow hats versucht und getroffen: Cover seines illustrierten Gedichtbandes von und für Goethe, ja und auch für Beethoven - Hanser Verlag 2004 (ab 6 Jahren)



Wer nur hört, was zu hören ist, ist taub. Wer nur sieht, was zu sehen ist, ist blind. Cervantes hat es so oder ähnlich gesagt und geschrieben. Darum wissen wir schon längst, warum viele Politiker, Börsianer und Fussball-Deppen blind, taub und einfältig sind. Das schlimmste aber: Blindheit, Taubheit und Einfalt sind nicht angeboren, sondern lernbar. Zum Trost: Sehen, hören und unterscheiden kann man auch lernen. Mit Goethe und Beethoven geht es sogar spielend einfach: «Meeres Stille und Glückliche Fahrt» - eines der schönsten romantischen Gedichte der deutschsprachigen Welt, hat der Hanser Verlag von Peter Schössow für Kinder illustrieren lassen.

Vorweg sei gesagt: das Goethesche Gedichte-Paar hat auch Ludwig van Beethoven gefesselt, und er hat flugs eine Chorfantasie dazu komponiert, die eines der schönsten Musikwerke der abendländischen Musik überhaupt ist. Leider nicht allzu bekannt - da es für die Aufführung einen mächtigen Chor braucht, der aber nur acht Minuten und vier Sekunden «in Betrieb» sein muss - also heutzutage eine teure Sache ist.

Miese Aufnahmetechnik der Deutschen Grammophon

Der Zeichner Schössow hat sich des Themas für Kinder angenommen. Leider sind nicht nur urheberrechtliche Gründe schuld daran, dass wir nicht auch noch ein Hörbeispiel diesem Dokument an diese Buchbesprechung anfügen können. Die Version der Chorfantasie, die wir besitzen, ist von der Deutschen Grammophon herausgegeben worden. Ein Produzent, der zwar berühmt für seine Titel und Interpreten ist, aber leider auch sehr berühmt für aufnahmetechnischen Pfusch.

So ist der extrem leise Anfang auf unserer Referenz-CD, welche eine von Claudio Abbado dirigierte und von den Wiener Philharmonikern und dem Wiener Opernchor bespielte Fassung enthält, praktisch unhörbar. Dabei müsste man gerade diesen Anfang hören können, der so leise beginnt, wie die erste Zeile des Goethe‘schen Gedichts lautet: «Tiefe Stille herrscht im Wasser, ohne Regung ruht das Meer.»

Ein «totenstiller» Chor

Leise hebt das Orchester an, und es säuselt der Chor: «Tiefbekümmert sieht der Schiffer Glatte Flächen ringsumher.» Eine Windesstille auf dem Ozean verursachte früher wohl ähnliche Beklemmnis, wie wenn jemand heutzutage übers Wochenende in einem Lift steckenbleibt… Die Musik unterstreicht die gedämpfte Stimmung durch ihre Langsamkeit, der Chor durch leises Singen, das aber durch die grosse Zahl der Stimmen tief und breit tönt. Treffender liesse sich Windstille nicht in Musik umsetzen.

«Meeres Stille» war im Zeitalter der Segelschiffahrt gleichbedeutend wie «…Todesstille fürchterlich!». Denn: « …In der ungeheuren Weite reget keine Welle sich.» Zeichen des Todes, der Todesahnung, eben totenstill und fürchterlich!

Der befreiendste Ruf der Seeleute: «Land in Sicht!»

Plötzlich aber klart es auf, verfängt sich eine auffrischende Brise in den Rahen. Das laufende Gut in der Takelage beginnt wie die Harfensaiten des Windgottes anzuklingen. Das Aufatmen der Schiffer wird deutlich vernehmbar. Hoffnung keimt auf - nach dem Tod geht das Leben eben weiter. So hört man es im zweiten Teil des Gedichtes, wo die ersten vier Zeilen nun die «Glückliche Fahrt» ankündigen: «Die Nebel zerreissen, Der Himmel ist helle, Und Äolus löset, Das ängstliche Band.»

Aufbruch und Bewegung bringen die Seeleute dem Ziel näher: «Es säuseln die Winde, Es rührt sich der Schiffer. Geschwinde! Geschwinde!» Und weiter in diesem Tempo des auffrischenden Windes: «Es teilet sich die Welle, Es naht sich die Ferne» und dann das erlösende: «Schon seh ich das Land!» - Das Land, das Ziel, die Ankunft, die Zukunft, das Leben vor uns! «Das Land!», singt der Chor erlöst in mehrfacher kanonischer Wiederholung.

Für Opa, Oma, Papi, Mami, Onkel, Tante…

Den Gedichttext auf den Knieen, die Musik im Ohr und der Chor im Raum - es ist ein fantastisches Zusammentreffen zweier Giganten der abendländischen Kultur: Goethe und Beethoven. Vorsicht: Suchtgefahr! Zumal die Chorfantasie nur acht Minuten und vier Sekunden dauert, man also immer wieder auf da capo schaltet, bis die Nachbarn die Polente alarmieren…

Warum soll immer nur alles für Kinder sein, wenn es pfiffig und spannend und schön ist? Das von Schössow illustrierte Gedichtepaar von Goethe ist ein wunderbares Illustrationswerk, das ästhetisch ebenso anspruchsvoll ist, wie es einleuchtend gezeichnet ist. Den Filio auf dem einen Knie, das Schössow-Bildbuch auf dem anderen, Goethes Gedichtepaar auf der Zunge und Beethovens Chorfantasie im Ohr garantieren, dass man dem Nachwuchs etwas spannend und vertieft beibringen kann, wofür ihn die Fussball-Deppen dereinst beneiden werden, wüssten sie nur, was sie auf der Tribüne verpassten…



Flaute, glatte Flächen ringsumher - klug getroffene Gedicht-Illustration von Peter Schössow. Aus «Johann Wolfgang von Goethe: Meeres Stille und Glückliche Fahrt».Hanser Verlag 2004



*****

Der ganze Goethe-Text an einem Stück


(Texte von Johann Wolfgang von Goethe zu Beethovens Chorfantasie «Meeresstille und Glückliche Fahrt», op. 112)

Meeres Stille (Sostenuto)

Tiefe Stille herrscht im Wasser,
ohne Regung ruht das Meer,
und bekümmert sieht der Schiffer
glatte Flächen ringsumher.
Keine Luft von keiner Seite!
Todesstille fürchterlich!
In der ungeheuren Weite
reget keine Welle sich.

Glückliche Fahrt (Allegro vivace)

Die Nebel zerreissen,
Der Himmel ist helle,
Und Äolus löset
Das ängstliche Band.
Es säuseln die Winde,

Es rührt sich der Schiffer.
Geschwinde! Geschwinde!
Es teilet sich die Welle,
Es naht sich die Ferne;
Schon seh ich das Land!

Von Jürg-Peter Lienhard

Für weitere Informationen klicken Sie hier:

• Musikwissenschaftlicher Aufsatz zu Beethovens Chorfantasie

• Prominente Rezensionen und Bestellmöglichkeit

• Boulez und Beethoven - Anmerkungen von Robert Piencikowski


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