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Artikel vom 24.12.2012

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Ottokars Cinétips

Mafiosi, Politiker, Drogenbosse und Chemielehrer im Zwielicht

Amerikanische TV-Serien erleben einen regelrechten Boom und werden auch auf europäischen Sendern ausgestrahlt

Von Ottokar Schnepf



James Gandolfini als Antoni Soprano und seine Mafiosi-Spiessgesellen


Den Vergleich mit dem Kino brauchen diese Filme nicht zu scheuen: «The Sopranos», «The Wirre», «Breaking Bad» gelten in den USA als «the greatest TV–movies ever made».

The Sopranos war die erste und erfolgreichste unter den bald als Qualitätsserien registrierten TV-Staffeln, in denen nicht nur die interamerikanischen Kulturkämpfe, sondern auch der Niedergang der Mittelklasse registriert werden – am Beispiel der Mafia von New Jersey.

It’s All For The Family

Im Mittelpunkt der sich immer weiter entwickelnden Geschichte steht der Mafia-Boss Tony Soprano – grossartig der für diese Rolle mit TV-Preisen ausgezeichnete James Gandolfini – der sich auf althergebrachte Mafia-Traditionen mit seinem Clan bereichert und vor Gewaltverbrechen nicht zurückschreckt: It’s All For The Family, meint Tony als verantwortungsvoller Familienvater, der unter Panikattacken leidet und psychotherapeutische Hilfe benötigt.

Die 86 Episoden mit einer Spielzeit von 78 Stunden dominieren nicht mit fernsehmässig auf Dialog, Schnitt und Gegenschnitt fokussierten Bildern. Jede Fortsetzung birgt cinéastische und erzählerische Überraschungen mit Schwenks und Fahrten, in Schärfeverlagerungen, in Rekadrierungen und Zooms.



Strassendealer, Drogenbosse, Junkies, Politiker und die Major crimes Unit are all in the game.


It’s All In The Game

Nach dem ersten folgte sogleich der zweite Streich: The Wire. In dieser Serie geht es um die soziale Verelendung der vom Kapital verlassenen amerikanischen Grossstädte, die Drogenkriminalität, die Hilflosigkeit und Korruption von Politik und Polizei, den Rassismus und einiges mehr – am
Beispiel von Baltimore.

Der ehemalige Polizeireporter der «Baltimore Sun», David Simon, und der Ex-Mordermittler Ed Burns, haben ihre langjährigen Erfahrungen, Enttäuschungen, Demütigungen, die sie in ihrem Beruf erlebt haben, filmreif aufgeschrieben – und die Stadt Baltimore zur Protagonistin dieser Serie gemacht; Baltimore plays itself.

Baltimore im Bundesstaat Maryland hat vor allem mit Armut, Verwahrlosung, Drogenabhängigkeit und Korruption zu kämpfen, hat eine hohe Verbrechensrate mit bis an die 300 Tötungsdelikten pro Jahr. Wie solch eine Stadt funktioniert, oder eben nicht, zeigt The Wire in 60 Episoden in total 60 Stunden – It’s all in the game.

Dem Titel folgend (Wire = Draht, Kabel, Leitung) verweist diese Gesell-schaftsstudie auch auf das Telefon, elektronische Kommunikationsmittel und Abhörgeräte, welche die Polizei und Kriminelle verwenden. So besitzt die Serie ein hohes Mass an Glaubwürdigkeit und moralischer Autorität – weil sie sich eines eindeutigen moralischen Urteils enthält. Gespielt werden diese Charaktere aus beiden Seiten von weitestgehend wenig bekannten und grossartigen Schauspielern, die zu grossen Teilen aus der vornehmlich schwarzen Bevölkerung Baltimores rekrutiert wurden.

So wenig wie The Wire eine Fernsehserie in einem konventionellen Sinne ist, so wenig sind die Bilder televisuell standardisiert. Viel häufiger als im Fernsehen üblich werden Totalen verwendet, was schon bei The Sopranos aufgefallen ist.



Chemielehrer Walter White (Byron Cranston) und Drogendealer Jesse Pinkman (Aaron Paul), der eine kocht, der andere dealt.


It’s All Chemistry

Um einen Lehrer und ums Sterben geht es in Breaking Bad. Wen interessiert das schon? Doch aufgepasst; der Spass besteht darin, was die Drehbuchschreiber daraus machen, wie zuvor mit dem Mafia-Boss und seiner Psychotherapeutin in The Sopranos. Denn Protagonist Walter White leidet unter Lungenkrebs, hat den Tod vor Augen – und die originelle Idee, die finanzielle Zukunft seiner Familie durch die Herstellung und Verkauf der Unterschichten-Droge Crystal Met zu sichern.

Und wie Professor Unrat mutiert er dabei vom schüchternen Hans Durchschnitt zum Superkriminellen Walt White. Die Herstellung ist für den Chemielehrer ein Kinderspiel: It’s all chemistry. Für den Versuch hat er sich einen ehemaligen Schüler ausgesucht: den drogenabhängigen Jesse, dessen Charakter sich konträr zu Walters entwickelt.

Und was zu Beginn noch als selbstlose Tat erscheint, entwickelt sich immer mehr zu einen kriminellen Wettlauf, in dem es Tote gibt, und Walt sich langsam aber sicher von seiner Familie entfremdet. Probleme gibt es auch mit der Konkurrenz im Drogengeschäft und Walters Schwager, der ungünstigerweise bei der Drogenvollzugsbehörde ein scharfer Hund ist.

Kurz: In dieser Serie stimmt ebenfalls alles und in raffinierter Gratwanderung zwischen schwarzer Komödie, Thriller und Familiendrama. Hier wird wie in The Wire und The Sopranos nicht eine Geschichte immer wieder erzählt, hier wird eine Geschichte immer weiter erzählt.

Bemerkenswert in Breaking Bad ist auch Hauptdarsteller Bryan Cranston, dessen wortkarges Spiel den Balanceakt zwischen Absturz ins kriminelle Milieu und der Befreiung aus den spiessbürgerlichen Zwängen so eindrücklich auf den Punkt bringt.

Fazit: Die neuen US-amerikanischen Serien sind im Vergleich zu dem, was im Kino läuft, schlichtweg interessanter, gewagter und anspruchsvoller.

N.B.: Um diese über 60 Minuten dauernden Serien in einem Zug (und Originalton) zu geniessen, und nicht wochenlang auf eine Fortsetzung am Fernsehen zu warten, gibt es sie alle auf DVD.

Von Ottokar Schnepf


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