Anzeige:
Abschaltung

Artikel vom 16.12.2011

Druckversion

Ottokars Cinétips

Kämpferischer Carlos

Olivier Assayas hat ein fünfstündiges Kinowerk für die Grossleinwand geschaffen, das aber trotz seiner hervorragenden Qualitäten bislang nicht ins Kino kam

Von Ottokar Schnepf



Illich Ramirez Sanchez - links ein Fahndungsfoto, daneben der Kino-Carlos, der zudem auch Ramirez, Edgar Raminez, heisst.


Der einst meistgesuchte Terrorist «Carlos», dessen Bild um die Welt ging und der in Frankreich bereits eine lebenslange Haft absitzt, muss sich zurzeit vor Gericht für Anschläge aus den 80er-Jahren verantworten.

Vor dem Gericht in Paris zeigte sich der Angeklagte einmal mehr kämpferisch, bezeichnete sich als «professioneller Revolutionär» und streckte die Faust in die Höhe.

Intervenieren ist eine von Carlos Eigenschaften. Nach 15 Jahren im Gefängnis erfährt er im vergangenen Jahr plötzlich, dass jemand einen Film über seine Geschichte macht. Das muss einen extrem durcheinanderbringen, wenn die eigene Lebensgeschichte fiktionalisiert wird in einem Film mit Schauspielern, während man selbst vollkommen machtlos in einer engen Gefängniszelle sitzt.

Kein Wunder wollte Carlos Einsicht ins Drehbuch, Mitspracherecht, sagen, was richtig und was falsch war. Am liebsten hätte er natürlich sich selbst gespielt im Film, an Stelle von Edgar Ramirez (auf der Foto rechts mit Beret). All das konnte und wollte Regisseur Olivier Assayas nicht zulassen. Am Schluss hat Illich Ramirez Sanchez, so sein richtiger Name, vor Gericht gegen das Filmprojekt geklagt. Ohne Erfolg zum guten Glück.

Denn Assayas Film «Carlos - Der Schakal» ist mit mehr als 100 Figuren (ein vielsprachiges deutsch-französisch-arabisch-venezuelanisches Ensemble) und fünfeinhalb packender Stunden Erzählzeit ein Monumentalwerk von seltener Leidenschaft. Es auf die Leinwand zu bringen, ist schon ein Abenteuer für sich - und in einem Kinomarkt, in dem die ambitioniertesten Werke nach ihren Festivalpremieren oft liegenbleiben, doppelt bemerkenswert.

Doch was nützt es einem Regisseur, wenn er seinen Film speziell als Kinofilm anlegt, also für die grosse Leinwand dreht - und nach der Festival-Uraufführung (Cannes) die Filmverleiher kein Interesse zeigen - so dass der Film schliesslich beim Fernsehen landet, wo er eben nicht hingehört. Ein Schicksal unter vielen, dem auch «Carlos - der Schakal» zum Opfer fiel.



«Carlos» zeichnet ein komplexes Bild des Systems, in dem der Superterrorist Carlos agierte. Edgar Ramirez spielt ihn leidenschaftlich und überzeugend. Jetzt, da Carlos alias Ilich Ramirez Sanchez wieder im Rampenlicht steht, kommt vielleicht auch Olivier Assayas fesselnder Film in die Kinos
.
Fesselndes Kino

«Carlos» ist ein Cinemascope-Film, weit ausgreifend in jeder Hinsicht und dabei zugleich ganz auf seinen zentralen Protagonisten konzentriert: Das Eintauchen ins Universum des Terrorismus der Siebziger- und Achtzigerjahre bringt in der Gestalt von Carlos (energisch und mit grösstem physischen Einsatz verkörpert von Edgar Ramirez) nicht nur eine Wiederbegegnung mit dem schillerndsten und berüchtigsten Protagonisten dieser Politszene, sondern ist auch im besten Sinn aufklärerisches Kino.

Olivier Assayas hat mit seinem Rechercheteam einen Weg durch die oft undurchsichtigen Quellen gefunden und liefert Kino, das mit den mörderischen Konflikten innerhalb der Terroristenszene, aber auch immer wieder mit dem reinen Wahnwitz der Zeitgeschichte fesselt. Teils Fakt, teils Fiktion. Kino eben…

PS: Zum zweiten Mal lebenslänglich für Ex-Top-Terrorist «Carlos»

Der einstige Top-Terrorist «Carlos» ist zur Maximalstrafe verurteilt worden. Er erhielt zum zweiten Mal lebenslange Haft. Eine vorzeitige Begnadigung des 62-Jährigen ist wegen einer zusätzlich verhängten Sicherheitsverwahrung von 18 Jahren kaum möglich.

Von Ottokar Schnepf


Klicken Sie hier, wenn Sie fortan bei neuen Artikeln dieses Autors benachrichtigt werden wollen!


Anzeige:

Latein8



Nach oben


Copyright © 2003 by webjournal.ch

 

Die Funktion Newsletter ist wegen Spam blockiert. Schreiben Sie eine Mail an info(ad)webjournal.ch mit dem Betreff: «Bitte newsletter zusenden» Besten Dank für Ihr Verständnis.