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Artikel vom 12.02.2008

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Elsass - Kultur

Steinway-Klänge auf dem Perron

Ein musikalisches Spektakel der Sonderklasse im Mülhauser nationalen französischen Eisenbahnmuseum

Von Pierre Dolivet



Piano-Raritäten zwischen Lokomotiv-Raritäten: «Steinway versus Steinway» im Eisenbahnmuseum von Mülhausen. Am Piano: Eric Atz. Foto: Armand Meyer, Strasbourg © 2008


In der Halle wo sich die alten Locos ruhig auf täglichen Besuch freuen, sind mehrere Klaviere auf dem alten Bahnsteig aufgestellt. Es sind nicht gewöhnliche Klaviere. Es sind Perlen, Raritäten: Steinway Pianos!

Der Abend beginnt auf sonderbare aber sympathische Weise. Ein Mann erscheint plötzlich in der Mitte des Publikums, das da völlig gespannt auf den Perrons des «Musée National Français du Chemin de Fer» der Dinge harrt, die ein origineller Abend versprochen hat: Der Mann zieht aus seiner Westen-Tasche eine Bahnwärterpfeife.

Ein schrillender Pfeifton ist zu hören und eine Ansage auf Französich, ungefähr so: «Sehr geehrte Damen und Herren, der Zug von Steinway ist eingetroffen, wir wünschen Ihnen einen schönen und Interessanten Abend.» Es ist der Beginn eines eigenartigen Klavierkonzertes, das nicht ganz zufällig unter einer Installation mit venezianischen Karnevals-Masken stattfindet.



Der organisierende Arzt Didier Kleimberg (Mitte) sagt selbst von sich, er sei ein «militant et agitateur culturel» - sympathischer kann so eine Selbsteinschätzung nicht sein, zumal heutzutage, wo das Bildungsbürgertum als Avantgarde die beginnende Agonie der abendländischen Kultur aufzuhalten versucht. Foto: Pierre Dolivet, Mulhouse © 2008


Die Idee zu diesem ungewöhnlichen musikalischen Event im Eisenbahnmuseum entsprang dem Arzt und engagierten Musikliebhaber Didier Kleimberg von Wesserling am Fusse der Südvogesen. Kleimberg «entlehnte» sie dem Roman von Pierre Chemin: «Steinway versus Steinway», weshalb das Konzert natürlich auch Anlass für den weltberühmten Klavierbauer war, nicht nur seine «Perlen» zur Verfügung zu stellen, sondern auch etwas Geschichte «des guten Klangs» unter die Leute zu bringen.



Am Piano: Bernard Desormières. Foto: Pierre Dolivet, Mulhouse © 2008


Das Konzert hatte Kleimberg als musikalischen «Streit» inszeniert: Zwei «Advokaten» mit je zwei Händen «streiten» sich für zwei «Klienten»: Es ist allein schon erstaunlich, was die sieben Oktaven und ihre 88 Tasten eines Steinway-Klaviers von sich zu geben vermögen. Noch erstaunlicher, was dann herauskommt, wenn man die Hände und die Köpfe sowie die Umgebung dazuzählt, die so einen ungewöhnlichen musikalischen Abend unvergesslich machen…



Venezianische Karnevals-Masken über dem Steinway-Eisenbahnmuseums-Konzert. Foto: Pierre Dolivet, Mulhouse © 2008


Der Abend endete mit einem «verre d‘amitié» - einem «Glas der Freundschaft», wobei die alten Locos ob dem ungewöhnlichen Publikum und seinen Fachsimpeleien über Klavierbau wohl «nur Bahnhof» verstanden haben müssen…


Von Steinweg zu Steinway



Die Firma Steinweg (Steinway & Sons) in Hamburg, auf einem Stich vom Ende des 19. Jahrhunderts im Stil der damaligen Zeit: In Wirklichkeit waren die Gebäude des Unternehmens nie so mächtig wie dargestellt. Die Darstellung von riesigen Fabrikkomplexen war Mode, oder sagen wir: schon damals versuchte die Werbung, die Kunden über bescheidenere Tatsachen hinwegzutäuschen…


Haben Sie gewusst, dass Steinway die «Veramerikanisierung» des deutschen Familiennamens Steinweg ist? die Firmengeschichte des weltberühmten Klavierbauers ist nicht minder so spannend, wie die Geschichte der Werke, die auf den 88 Tasten, exakt 52 weisse und 36 schwarze, komponiert oder interpretiert worden waren.

Die Firma Steinway ist von der Familie Steinweg gegründet worden. Der Vater, Heinrich (1797-1871), zügelte um 1850 mit seinen drei Söhnen nach New-York, wo er zunächst bei Bacon & Raven arbeitet.

1853 gründete er seine eigene Firma. Nach seinem Tod um 1880, gründete die Firma eine Filiale - in Deutschland, in Hamburg… Noch heute wird behauptet, dass die in Hamburg erstellten Instrumente einen hörbar unterschiedlichen Klang gegenüber den in New York gebauten haben.

Die grossen Innovationen im Klavierbau von Steinway sind ab 1860 erfolgt. Unter anderem der Rahmen aus Gusseisen an einem Stück, so dass die Solidität und der Ton verbessert werden konnten. Und als wichtigsten Effekt erlaubte diese Konstruktion weniger Nachstimmungen.



Herzstück jeden Steinways Flügel: Der gusseiserne Rahmen, der die Saiten-Spannung von 20 Tonnen aushalten muss und erst den weltberühmten «guten Ton» ermöglicht. Foto: Pierre Dolivet, Mulhouse © 2008


Die andere revolutionäre Erfindung war, dass die Saiten (cordes à piano) gekreuzt sind. Dies erlaubt grössere Zugkraft (tension) und es können schwerere Hämmer (marteaux) verwendet werden, so dass der Klavierspieler stärker spielen kann, ohne das Klavier zu beschädigen (zu «malträtieren» hingegen schon…). Zur Zeit von Franz Liszt, der mehrere Klaviere pro Konzert zerhaute, war dies schon ein Vorteil.

Aber auch kaufmännisch war die Familie Steinweg/Steinway erfolgreich. Wilhelm Steinweg, der Sohn von Heinrich Steinweg, begründete eine offene Verkaufspolitik: Klaviere wurden schon damals im Sinne des heutigen «Sponsoring» an bekannte und berühmte Komponisten und Interpretern verschenkt und armen, aber hoffnungsvollen Talenten wurde die Teilzahlung erlaubt. Später wurde diese Form der Verkaufsförderung von anderen Firmen ebenfalls erfolgreich kopiert.

Aber nie sind Steinway-Klaviere billige «Klimperkästen» geworden...

Von Pierre Dolivet


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