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Artikel vom 18.07.2007

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Gast-Beiträge

Der Benzinpreis steigt, weil…

1001 Gründe, warum der Benzinpreis immer steigt und nie fällt

Von Redaktion



Das Ende der Erdölvorkommen wird wirksam den Aufwärtstrend des Benzinpreises stoppen, nämlich auf Null runter…


jpl.- Der Benzinpreis steigt immer, er fällt nie, und er wird nie mehr fallen! Warum dies so ist, hat vorerst gar nichts mit «den Chinesen» zu tun, sondern mit der «freien» Marktwirtschaft: «Ich bin so frei, sagte der Markt, und erhöhte die Preise!» So ist das, und so alt wie der Kapitalismus ist diese simple Regel. Nur die Begründungen sind stets neu, und die hat für webjournal.ch der Ökonom Martin Kapp gesammelt. Eine Sammlung zum Schreien lustig!

Die Ausredensammlung zum Benzinpreis ist der erste Beitrag in der neuen Rubrik «Zugeflogen», wo künftig in lockeren Abständen unikate Texte von «zugewandten» Autoren erscheinen werden, die Themen quasi «unter dem Strich» zum Gegenstand haben.

Kapps Aufzählung kann indes fast unendlich fortgesetzt werden; es ist unseren Lesern überlassen, da noch weitere Ausreden anzuhängen (wir sind dankbar, wenn man sie uns zustellt).




Martin Kapp am 22. Juni 2007 im Garten seiner Arlesheimer Villa im Grünen. Der Ökonom war lange Zeit in Basel «berüchtigt» wegen seines «Schottenmuster-MGs». Vor allem aber, weil er ein grosser Oldtimer-Fan war, der die allerschönsten MGs weitherum besass, die er eigenhändig restaurierte. Foto J.-P. Lienhard, Basel © 2007



Der Benzinpreis steigt, weil…

-- Von Martin Kapp --


1. Die Opec-Länder steigern ihre Produktion
- der Benzinpreis steigt!


Dies ist auf grundlegende ökonomische Gesetze unserer Marktwirtschaft zurückzuführen: Die gestiegene Nachfrage nach Tankerkapazität verteuert die Frachtraten überproportional.


2. Die Opec-Länder drosseln ihre Produktion
- der Benzinpreis steigt!


Das ist ökonomisch bedingt: Das Angebot sinkt bei gleichgebliebener Nachfrage, damit wird die Ware teurer


3. Im Nahen Osten herrscht vorübergehend Waffenruhe
- der Benzinpreis steigt!


Die Ruhe ist trügerisch; die Lager werden vorsorglich aufgefüllt. Die zusätzliche Nachfrage erhöht den Marktpreis.


4. Im Nahen Osten wird gekämpft
- der Benzinpreis steigt!


Hamsterkäufe erhöhen die Nachfrage und damit den Marktpreis.


5. Die Verbraucher sparen
- der Benzinpreis steigt!


Der Minderpreis sorgt dafür, dass die Raffinerien weit unterhalb ihrer Kapazität produzieren müssen. Dies erhöht den Einheitspreis (Kosten pro Liter), den in einer Marktwirtschaft die Konsumenten zu tragen haben.


6. Die Verbraucher sparen nicht
- der Benzinpreis steigt!


Die Ölgesellschaften erfüllen eine lebenswichtige Funktion in der Marktwirtschaft: Durch Preiserhöhungen wirken sie einer noch grösseren Abhängigkeit vom Erdöl entgegen.


7. Die Verbraucher weichen auf Substitute aus
- der Benzinpreis steigt!


Die Verbundproduktion der verschiedenen Erdöl-Derivate kommt durcheinander. Das erhöht die Kosten pro Liter.


8. Der Rhein führt Hochwasser
- der Benzinpreis steigt!


Die Versorgungslage wird prekär. Vorsorge-Bestellungen erhöhen die Nachfrage und damit logischerweise den Marktpreis.


9. Der Rhein führt Niedrigwasser
- der Benzinpreis steigt!


Die Schiffe können nur zu einem Drittel ihrer Kapazität beladen werden. Die dadurch erhöhte Fracht pro Tonne Ladegut verteuert die Ware.


10. Der Rhein führt Normalwasser
- der Benzinpreis steigt!


Kaum 25 Prozent des eingeführten Benzins erreicht die Schweiz auf dem Wasserweg. Für die Kalkulation spielt daher die Situation auf dem Rhein eine geringe Rolle.


11. Der Dollar-Kurs steigt
- der Benzinpreis steigt!


Alle Erdöl-Kontrakte werden in Dollar abgerechnet. Die Konsequenzen für den Preis in Schweizer Franken liegen auf der Hand. In der freien Marktwirtschaft wirken sich alle Änderungen sehr schnell aus.


12. Der Dollar-Kurs sinkt
- der Benzinpreis steigt!


Längst nicht alle Abschlüsse auf dem für die Schweiz massgebenden Spotmarkt in Rotterdam werden in Dollar abgewickelt. Im übrigen dauert es immer eine gewisse Zeit, bis sich Änderungen beim Verbraucher auswirken.


13. Die Lager sind randvoll
- der Benzinpreis steigt!


Grosse Lagerbestände drücken auf die Gewinnmarge. Die Filialen der grossen Erdölkonzerne leisten freiwillig einen unschätzbaren Beitrag zur Landesversorgung in Notzeiten. In einer freien Marktwirtschaft ist es nur natürlich, dass sich die Konsumenten an den hohen Kosten dafür beteiligen.


14. Die Lager sind leer
- der Benzinpreis steigt!


Die hohen Lagerverluste wurden bisher stets von den Erdölgesellschaften zu Lasten ihrer Erfolgsrechnung getragen. Das ist nicht mehr länger möglich.


15. Der durchschnittliche Reingewinn der grossen Erdölkonzerne ist gegenüber dem Vorjahr um 380 Prozent gestiegen
- der Benzinpreis steigt!


Die Zahlen ergeben ein unvollständiges Bild. Im Benzingeschäft allein sieht die Lage schlecht aus. Vereinzelt entstanden sogar Verluste, die von den anderen Abteilungen getragen werden mussten.


16. Der durchschnittliche Reingewinn der grossen Erdölkonzerne ist gegenüber dem Vorjahr kaum gestiegen
- der Benzinpreis steigt!


In einer freien Marktwirtschaft kann ein Produzent nur mit einer angemessenen Umsatz-Marge existieren.


17. Ein Opec-Mitglied stoppt infolge innerer Unruhen sämtliche Ausfuhren
- der Benzinpreis steigt!


Das Angebot auf dem Weltmarkt hat sich verringert. Die Preise reagieren entsprechend.


18. Ein Opec-Mitglied nimmt seine Ausfuhren wieder auf
- der Benzinpreis steigt!


Die seither eingetretene Inflation wurde entgegen den Gesetzen einer freien Marktwirtschaft von den Konzernen aufgefangen. Das kann nicht ewig so weitergehen.


19. Neue Erdölvorkommen werden entdeckt
- der Benzinpreis steigt!


Es gibt viel zu tun, packen wir‘s an. Um die Versorgung in der Zukunft zu sichern, müssen heute gewaltige Investitionen getätigt werden. Die Produktionskosten werden ständig höher.


20. Bisherige ergiebige Ölfelder erschöpfen sich
- der Benzinpreis steigt!


Es wird immer schwieriger und teurer, der unverminderten Welt-Nachfrage nach Öl gerecht zu werden.


21. Zwei Erdölkonzerne fusionieren
- der Benzinpreis steigt!


Der Zusammenschluss ist ein Signal dafür, dass bei den gegenwärtigen Preisen das Überleben einzelner Gesellschaften nicht mehr gewährleistet ist.


22. Zwei Erdölgesellschaften fusionieren nicht
- der Benzinpreis steigt!


Der von den staatlichen Aufsichtsstellen abgelehnte Zusammenschluss verhindert beträchtliche Rationalisierungs-Vorteile. Die Konsequenzen hat der Konsument zu tragen.

*****

Jede einzelne dieser Aussagen ist wahr. Wie könnte es auch bei grundlegenden ökonomischen Gesetzen in einer freien Marktwirtschaft anders sein? Besonders wenn sie von Sprechern oder Communiqués der Erdölgesellschaften, deren Pressestellen, Werbeagenturen oder Hofjournalisten verbreitet werden - um die neueste Benzinpreiserhöhung zu begründen.

Alle Aussagen zusammen sind falsch. Aber wem fällt das schon auf, wenn zwischen den zu begründenden Preisaufschlägen der letzten Jahre stets einige Wochen zu vergehen pflegten und nicht wie oben bloss eine Zeile?

Wie wäre es, wenn man die üble Übung abbräche und die kommenden Preiserhöhungen mit der folgenden Standard-Mitteilung ankündigte:

«Beim Benzin besteht in den Industrieländern ein Markt mit unelastischer Nachfrage, das heisst, die Konsumenten (und die ganze Wirtschaft) haben ihre Arbeits-, Wohn- und Freizeitgewohnheiten so eingerichtet, dass sie einen hohen Anteil an Transport mit dem Treibstoff Benzin mit sich bringen. Sie können und/oder wollen auf diese Gewohnheiten nicht verzichten.

Wir, die Lieferanten dieses Benzins, bilden de facto ein Monopol und nützen die Situation (unelastische Nachfrage und Angebotsmonopol) nach Strich und Faden aus.

Da man nicht wissen kann, wie lange die goldenen Zeiten anhalten, helfen wir den ökonomischen Voraussetzungen mit Panikmache und tendenziösen Meldungen über Erdöl-Reserven, Versorgungslage, politische Einflüsse kräftig nach - kurzum mit allem, was bei den Konsumenten für gerade so viel Angst und schlechtes Gewissen sorgt, dass sie nicht ernsthaft beginnen, ihre Gewohnheiten und Arbeitsweise zu ändern. Denn dies wäre das Ende unseres Jahrhundert-Geschäftes.»





Das waren noch Zeiten, als der «Most» bei der Migros noch nicht mal einen halben Franken kostete…

Von Redaktion

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