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Artikel vom 07.05.2007

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Elsass - Kultur

MIT LESERBRIEF

Einweihung vor Eröffnung

Das war die Vernissage-Nacht im Café littéraire von St-Louis, das aber erst nach der Buchmesse vom 11. bis 13. Mai 2007 seinen Betrieb voll aufnimmt

Von Jürg-Peter Lienhard



Sankt Ludwig by night - «Café littéraire» von St-Louis in der Nacht der Einweihung am 4. Mai 2007: Ein wunderschönes Bild - zumindest, wenn man es nicht von der «Wetterseite» betrachten muss… Alle Fotos J.-P. Lienhard, Basel © 2007


«Le café et la littérature ont toujours fait bon ménage» - frei übersetzt: Beiz und Literatur wirkten gerne im selben «Haushalt» - so begann Député-Maire Jean Ueberschlag von St-Louis am Freitag, 4. Mai 2007, seine Einweihungs-Rede für das «Café littéraire» in der umgebauten und renovierten «Maison David», einem der wenigen in St-Louis erhalten geblieben typischen Elsässer Fachwerkbauten. Nun hat also St-Louis sein Literaten-Café, seinen ganz speziellen kulturellen Treffpunkt im Zentrum von Basels Nachbarstadt, die sich keines solchen Kleinods an derart prominenter Stelle rühmen darf…

Wenn von Literatur die Rede ist, wenn ein Literaturhaus eingeweiht wird, darf man gespannt sein, wie die Politik die meist schriftlich abgefassten Reden formuliert. Und da gab's in der Rede von Député-Maire Ueberschlag gleich die erste Überraschung: Natürlich zitierte er zu Beginn Balzac, Voltaire, Diderot und Rousseau, die im berühmten Café Procope in Paris, das 1686 gegründet worden war, «literweise inhalierten»… Doch mehr als das gibt die an die Medienvertreter verteilte schriftliche Rede nicht her, denn der frühere Zahnarzt Ueberschlag hielt sich überhaupt nicht an sein Manuskript, sondern zeigte sich in freier Rede als durchaus erstaunlich Literaturkundiger, und nicht nur das, er ist auch bewandt in Literaturgeschichte.



Député-Maire Jean Ueberschlag hat ganz offensichtlich ein Faible für Literatur, und auch ohne Manuskript spricht er druckreif literarisch.


Natürlich in französischer Literatur, obwohl er noch perfekt Elsässisch spricht, aber eben: Wer im Elsass in Politik macht, schielt zweifellos nach Paris, ist dort fast besser zuhause als in der Randregion Elsass, der «province gérmanique», wie der Sonnenkönig nach dem Dreissigjährigen Krieg es - im ganzen Zusammenhang zynisch - titulierte. Immerhin heissen die anderen kulturellen Institutionen in St-Louis nach Pariser Grössen: Der Theater- und Kino-Komplex «La coupole», genannt nach Sartres Lieblings-Café in Paris oder die Bibliothek und Mediathek «Le parnasse» - wobei der Kunstraum «Espace d‘art contemporain» unter dem Sankt-Ludwiger Wahrzeichen, dem Fernet-Branca-Adler aus der deutschen Zeit, eingerichtet ist.

Sehr bemerkenswert in der schriftlichen Version der Rede Ueberschlags ist ein stolzer Satz, der gewissermassen das neue Selbstverständnis von St-Louis umschreibt: Man baut nicht ein «Herz» einer Stadt allein mit Wohnungen, Geschäften und Dienstleistungen. Zu einer Leben gebärenden Struktur gehören eben auch die genannten Institutionen, deren bauliche und ausstattungsmässige Aufwertung ein Verdienst des nun doch lange Jahre amtierenden Bürgermeisters ist.

Ein weiterer Satz in der schriftlichen Rede ist einer, dessen Intention auf den von der elsässischen Politik so schändlich und so schädlich für das Renommee des Elsass behandelten Gründers des elsässischen Freilichtmuseums Ecomusée d‘Alsace, Marc Grodwohl, zurückgehen dürfte. Ueberschlag sagte: «Zu viele Fachwerkhäuser sind in unserer Umgebung verschwunden, so dass wir es uns nun herbeiwünschten, dieses Haus vom Keller bis zur Diele wiederherzustellen.»



Wen immer man fragte, fand die Annexe mit dem Küchen- und Infrastrukturtrakt missraten. Nicht mal die Verteilkästen für Energie haben die Architekten befriedigend integriert.


Immerhin ist die Bausubstanz im Wesentlichen erhalten worden - sieht man mal von der grässlichen Betonwand am neuen Küchenanbau ab. Und die giftgrüne Bemalung der Stirnseite der Annexe wurde flugs doch noch «entschärft» und vorläufig mit Kunststoff verkleidet - es wäre des «Guten» an Architekturfehlern zuviel gewesen (webjournal.ch berichtete).

Marlyse Bernheim von der ehemaligen Besitzerfamilie mutmasste scherzend, ob darum eine derartige Wand angeklebt wurde, «weil das dahinter so schrecklich hässlich ist»… Zusammen mit ihrem Ehemann Jacques hatte sie zuletzt noch in der «Maison David», dem jetzigen «Café littéraire» als Geschäftsleute gewirkt und daselbst auch gewohnt. Nach dem Verkauf der Liegenschaft sind sie allerdings nach Strassburg und nicht nach Colmar gezügelt, wie webjournal.ch fälschlich berichtete.



Maryse und Jacques Bernheim, die früheren Besitzer, Bewohner und Gewerbetreibende in der alten «Maison David».


Der Beizer des «Café littéraire», Tony Hartmann, wird allerdings den Betrieb erst nach dem 15. Mai 2007, also nach der Buchmesse von St-Louis vom 11. bis 13. Mai 2007, aufnehmen. Noch haben sich etliche Arbeiten in der Küche und bei der Inneneinrichtung verzögert, und eine ganze Reihe Baufehler sind auch noch auszubügeln: Zum Beispiel die Service-Türen zwischen Küche und Gastraum, die sich nur mit zwei Händen öffnen lassen, und auch dann nur, wenn man sich mit dem Oberkörper dagegenstemmt…

Das eigentliche literarische und kulturelle Programm wird jedoch erst nach der Sommerperiode einsetzen. Und da versprechen sich die Kulturverantwortlichen der Stadt ebenso wie die Kulturschaffenden und Literaten eine ganze Menge. Bürgermeister Ueberschlag lädt die Bevölkerung ein, an den Debatten teilzunehmen, zumal es ja viel vergnüglicher ist, dies an einem (gedeckten) Tisch zu tun. Da hat er ganz Recht!


Fotoreportage: J.-P. Lienhard, Basel ©2007




Gespanntes Warten vor der Einweihung: Doch zunächst gibt es eine ganze Reihe Eröffnungsreden und Reden zur Eröffnung.




Und das ist der Beizer Tony Hartmann, an dem ist vieles originell, nicht nur sein Brillengestell: Bürgermeister Ueberschlag schaut kritisch und achtsam, damit sich der Glacé-König und Erfinder von Choucroute-Glacé und -Schnaps in seiner Ansprache wirklich kurz fasst…




Wo französische Literatur ist, ist auch der Basler Professor für französische Literatur, Robert Kopp, nicht weit und überbrachte die besten Wünsche der Universitätsstadt von der anderen Seite der Grenze.




Wie der Name «Maison David» sagt, durfte auch Rabbi Raffaël Breisacher und Gemahlin von der jüdischen Gemeinde St-Louis an der Einweihung nicht fehlen, auch wenn die Freitagssonne längst untergegangen war und der Schabbat bereits begonnen hatte.




Und dann gings endlich ins Innenleben, für viele direkt an die Bar, wo allerdings die Wursträder und die «Morissettes» eher zu den ganz einfallslosen «amuse gueules» gehörten, noch weit hinter dem traditionellen Gugelhopf…




Immerhin bekamen die Einweihungsgäste wenigstens musikalische Leckerbissen zu hören: Annick Borgo und ihre Band.




Im traumhaft «echten« Jazzkeller spielte das «Sidewinder Quintet» «Saint-Louis Blues»…




…aufmerksam verfolgt von leicht fröstelnden Zuhörern in luxuriös-bequemen Sesseln.




Blick von der Galerie in das Obergeschoss mit der Zentraltreppe und dem siebenarmigen Leuchter an der Decke.




Der witzige Einfall der Handwerker, die untilgbaren Brandschäden von früher auf der Galerie einfach zu versiegeln, gibt dem Bohlenboden ein originelles Tüpfelchen aufs i.




Ein fröhliches Kleeblatt hat Freude, dass aus der «Maison David» etwas geworden ist - frei nach dem Bibelwort, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebe: Von links: Tony Hartmann, Marlys Bernstein, Jean Ueberschlag und ganz rechts Jeaques Bernstein.




So stellt sich Bürgermeister Ueberschlag «les débats» in «seinem» Literatur-Café vor - immerhin gehören die hier fotografierten Elsässer Journalisten erst noch zur erstklassigen Garnitur: Sophie Marie Larrouy vom Online-Magazin dreyeckland.com, der Kollege von der Lokalredaktion «Journal l‘Alsace» und Matthieu Hoffstetter von den «Dernières Nouvelles d‘Alsace», St-Louis.




Schnappschüsse sind nicht immer Schnappschüsse, und wenn man die Kollegen noch dazu bringt, den Kopf einzuziehen, damit es nach «ungestellter» Aufnahme aussieht, dann hat man gut gemogelt! Aber, dass man sie bei der Gehilfenschaft zum Mogeln ebenfalls fotografiert, grenzt doch etwas ans Absurde. Aber Spass machte es, wie man Michel Baltrès, dem Lokalchef der «Dernières Nouvelles d‘Alsace» (hinten) anmerkt - zumal, weil ihn die «Literatenpose» von Tony Hartmann unter dessen Porträt in Öl so amüsiert…



«Fehler am Bau», statt «Kunst am Bau»…




Die beiden Architekten von «Ubiq Strasbourg», Anne Bechtold und Jean-Guy Bourhis.




Hoffentlich ist die Gemeinde gut versichert, denn was da als architektonischer Einfall im Boden eingelassen ist, ist nichts anderes als eine Stolperfalle, und Fussgängerhelme scheinen im «Café littéraire» noch nicht obligatorisch zu sein…




Was macht denn da der Baum mitten in der Rollstuhl-Auffahrtrampe? Steht er da, damit der Behinderte sich beim hinunterfahren daran rettend halten kann? Und wie kommt der Rollstuhlfahrer unten um die rechtwinklige Ecke? Ist da eventuell die Drehscheibe vergessen worden einzubauen? Rechts im Bild einer der Stolperfallen am Tag.




Die «besondere Herausforderung» an den Glacé-Meister Tony Hartmann: Die «freistehende» Pergola wirft überall Schatten, wo niemand sitzt, aber die eigens für das «Café littéraire» (links) kreierten 64 «Coupes-de-glace» schmelzen lange, bevor sie mit der Zunge in Berührung kommen zur Glacé-Saucé…




So etwas von grundhässlichem Architekten-Einfall, oder sagen wir -Anfall: Die Bunker der Maginot-Linie sind dagegen Sakralbauten… Das Giftgrün auf der Stirnseite der KZ-Mauer ist noch rasch mit Kunststoff abgedeckt worden, aber die offenliegenden Anschlüsse für Energie
waren für die Architekten keinen Gedanken wert.




Und so siehts denn noch von Nahem und im Detail aus - wie eine Ohrfeige (aber die hätten eigentlich die «Architekten» verdient…).




So sah der Anbau vor dem Umbau aus - von vorne noch erträglich…




…von der Seite jedoch zeigt sich, dass da etwas neu gestaltet werden musste - was aber mit der jetzigen «Mauerlösung» voll daneben ging.




Immerhin hat nach dem Umbau die Seite zum Rathausplatz doch mehr an Gesicht gewonnen, als sie zuvor hatte.




Leserbrief

WIr möchten uns bei Ihnen bedanken, dass Sie in Ihrem Artikel über die Einweihung des «Café Littéraire» von Saint-Louis auch einige Worte über unsere Band geschrieben haben.

Leider ist Ihnen aber ein (kleiner) Fehler unterlaufen: alle «chansons» die von der Band interpretiert wurden, sind eigene Kompositionen unserer Sängerin Annick Borgo...


red. Was hiermit geschehen und in der Bildunterschrift korrigiert worden ist.

Von Jürg-Peter Lienhard

Für weitere Informationen klicken Sie hier:

• Mehr über Annick Borgo und ihre Band


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