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Artikel vom 19.08.2005

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Elsass-Kultur

Unterwegs mit einem Geburtstagsgeschenk

Was einstmals als Requisit auf der Bühne stand, schwimmt jetzt im elsässischen Freilichtmuseum Ecomusée d‘Alsace auf den Gewässern des Museums-Dorfes: Die «Schnieke», ein ehemals bedeutendes Transportmittel auf dem Rhein

Von Jürg-Peter Lienhard



Die wunderschöne «Schnieke» aus dem Requisiten-Fundus des National-Theaters Strassburg (TNS) wartet nun auf Passagiere im Ecomusée d'Alsace. (Foto EM)



UNGERSHEIM (ELSASS).- Immer wieder wird das elsässische Freilichtmuseum Ecomusée d‘Alsace beschenkt, mit Grümpel, den man eigentlich fortwerfen will oder wofür man keinen Platz mehr hat. Manches darunter ist natürlich Gerümpel, anderes hinwiederum sind Antiquitäten als Folge dessen, dass diese Gegenstände die letzten noch vorhandenen sind, weil die anderen gleichartigen eben als Gerümpel entsorgt, verholzt und verbrannt wurden.

Es könnte so mit Ihrem Computer gehen: Den werfen Sie mal fort, wie es tausende andere mit Ihnen auch tun. Und plötzlich sind die wenigen noch vorhandenen eine gesuchte Rarität, eine Antiquität eben, die Zeugnis einer Entwicklungs- oder Zivilisations-Epoche abgeben und dadurch ein klein wenig das Bewusstsein für die Zukunft wecken könnten.

Diesen Erkenntnissen über Entwicklung, Gegenwart und Zukunft, widmet sich das Ecomusée d‘Alsace, und es dürfte wahrscheinlich nicht mehr lange dauern, dass dort auch Computer «der ersten Stunde» den Einzug der Elektronik in die menschliche Zivilisation dokumentieren werden.

Was aus dem Alltag verschwunden ist, ist historisch

Noch umfassen die Themen des Ecomusée d‘Alsace schwerpunktmässig die Bau- und Wohnkultur sowie die Zivilisationsgeschichte am Oberrhein vom Mittelalter bis in die dreissiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, dem «industriellen Zeitalter». Diese «historische» Zeit wird denn von den Besuchern erst als «historisch» empfunden, obwohl ja alles, was gewissermassen gestern war, «historisch» ist.

Doch «historisch» im eigentlichen Sinne ist das, was aus unserem Alltagsbewussein verschwunden ist, was wir nur noch in Dokumenten und Antiquitäten über die «historisch verflossene» Zeit herauslesen können. Mit Aufwand natürlich, weshalb sich Zusammenhänge daraus, Erkenntnisse für die Gegenwart und für die Zukunft nur für denjenigen entschlüsseln lassen, der auch bereit ist, sein Auge und seinen Grips darauf zu verwenden…

Ein Schiff auf dem Estrich gefunden…

Das National-Theater von Strassburg (TNS) hat jüngst auch mal seine Requisitenkammer entrümpelt, und siehe da auf dem «Trockendock» eine Trouvaille enteckt: Eine «Schnieke». Eine «Schnieke» ist die Vorläuferin der Barke, dem mastlosen Boot der Binnenschiffahrt, hierzlande «Weidling» genannt. Der Bug und das Heck der «Schnieke» weisen eine klassische Vorschifform auf, womit man mit ihr sowohl vorwärts wie rückwärts fahren konnte.

Die «Schnieke» war das Transportmittel auf dem Oberrhein im doch eher flachen und wenig abfallenden Oberrheinbecken. Sie diente als «Lastenkahn» in der Zeit vom Mittelalter bis zur Renaissance, ehe sie vom geeigneteren Weidling abgelöst wurde. Das Wasserfahrzeug «Schnieke» bevölkerte den Oberrhein so, wie heute der Lastwagen die Strasse.

Elsässischer Wein auf dem Rhein…

Insbesondere im Raum um Strassburg kam diese Barken-Vorläuferin zum Einsatz, dort wo der Rhein nur noch träge fliesst. Sie wurde vor allem eingesetzt auf der Strecke zwischen Strassburg und Mannheim. Diesem «Lastesel des Stromes» wurde zwar allerhand Waren aufgebürdert, aber auf dieser Strecke bestand das Transportgut - wie könnte es für das Elsass anders sein - vornehmlich aus Weinfässern…

Die «Schnieke» eignete sich auch zum Treideln, also zum ziehen flussaufwärts, ebenso wie die Barke. Damit mussten die Boote nicht am Hafen flussabwärts verholzt werden, sondern konnten leicht beladen wieder flussaufwärts gezogen werden. Mittels Muskel- oder Tierkraft, womit denn sonst?

20 Jahre Ecomusée - das sollte man doch mit einem Ausflug dorthin feiern!

Die vom National-Theater Strassburg ans Ecomusée d‘Alsace zu dessen Jubiläum des 20-jährigen Bestehens (in diesem Jahr 2005) geschenkte «Schnieke» ist jetzt - frisch restauriert - eine der Attraktionen auf den Mäandern des Museums-Parkes. Die Besucher können sie beim Museums-Dorfeingang besteigen und damit einen äusserst reizenden Ausflug durch die «Roselières», der Flussufer-Flora und Fauna, gemächlich und ruhig absolvieren.

Die Gelegenheit für dieses Wochenende erstens, und zweitens: Im Ecomusée d‘Alsace ist zurzeit allerhand los: Die Sonderschau «Nach dem Hochwasser» - eine Dokumentation über die Übeschwemmungs-Region Oberrhein. Sie zeigt denn auch, warum die Flusslandschaft, das Ried, beidseitig so dünn besiedelt war, und welchen Nutzen die frühere Landwirtschaft von den alljährlich wiederkehrenden Überschwemmungen ziehen konnte. Und warum der Rhein-Seitenkanal aus politischen, und nicht aus technischen Gründen errichtet wurde: Weil die Preussen eine «eindeutige» Grenze am Oberrhein errichten wollten, und nur darum!



Futuristische Installationen der Architektur-Akademien Strassburg, Stuttgart und Budapest, jetzt im Ecomusée d'Alsace zu sehen. (Foto: EM)



Moderne Architektur-Kunstausstellung

Gleichzeitig läuft eine architekturkünstlerische Ausstellung, wobei zeitgenösssische Künstler und Architekten sich mit utopischen und historischen Formen des Bauens mit Holz und Stein, überhaupt mit der Behausung auseinandersetzen. Diese Ausstellungs-Installationen mit Beteiligung internationaler Architekten und Künstler wird bereits zum zweiten Mal durchgeführt. Nur wenige Objekte stammen noch aus dem vergangenen Jahr, und es ist vorgesehen, dieses Projekt auch in den nächsten Jahren weiterzuziehen. Ein unbedingtes Muss für angehende Architekten und «bestandene» Architekten, die sich mit dem Haus- und Wohnbau philosophisch, künstlerisch und innovativ auseinandersetzen wollen.

Interessant auch für die allgemeinen Besucher: Am Sonntag, 21. August 2005, wird wieder von Mitgliedern der elsässischen Körperschaften und Vereine mittels historischer Maschinen und von Hand gedroschen und gemahlen. Sehr atraktive Spektakel sind immer wieder die spuckenden, rauchenden, ratternden Dampf- und Dreschmaschinen-Vorführungen. Mit der Ernte des Hopfens, Traditions-Getreide im Elsass, sind auch Themen im «Haus des Geschmacks und der Farben» angesprochen: Ein bekannte Bier-Publizist, Jean-Claude Collin, referiert über «das Bier im Elsass zwischen Tradition und Moderne».

Also: Kind und Kegel eingepackt und ab ins Ecomusée d‘Alsace - der Winter steht ja bald vor der Türe!

Von Jürg-Peter Lienhard

Für weitere Informationen klicken Sie hier:

• Deutschsprachige website des Ecomusée d'Alsace


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