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Artikel vom 04.06.2005

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Reusdal meint

Essen ist das ganze Dasein

Warum müssen Lebensmittel eigentlich billig sein?

Von Mitch Reusdal



Ex und hopp - Schnellfresser sind im Eilzugstempo durch die Kinderstube gedüst: Kultur bedeutet eben bewusste Lebenshaltung und Respekt auch vor der Natur. (Fotoredaktion und Legenden: jpl



Es geht ein neues Gespenst um in Europa, das verbreitet die düstere Parole: «Das Essen ist zu teuer. Ihr bezahlt viel zu viel.» So kommt es, dass die Menschen anfangen, am Munde abzusparen, was sie ihrem leiblichen Wohlergeben und dem Genuss doch eigentlich schuldig wären.

«Prix Garantie». Coop garantiert billige Preise. Aber schon der Ausdruck ist ein begrifflicher Knorz, der nur damit zu erklären ist, dass er versucht, auf die generelle Sprachverkümmerung der Gesellschaft einzugehen.

«Prix» ist französisch, männlich und heisst Preis. «Garantie» ist deutsch und heisst so viel wie Zusicherung, Gewähr, Bestätigung. Der Ausdruck müsste also entweder auf Französisch «Prix garanti» oder auf Deutsch «Preisgarantie» heissen.



Sprachschöpfung à la Coop: Aus einem Adverb ein Substantiv machen und damit über den Röstigraben verständlich werden. Dumm oder gewitzt - die Frage steht, aber geben Sie sich die Antwort selbst.



«Prix Garantie» von Coop jedoch ist ein französisch-deutscher Begriff-Mix und ein sprachliches Stottotottern. An der Alliteration (zwei am Ende des Worts betonte «i») kann es kaum liegen.

Noch schlimmer ist die dahinter steckende Idee. Alles soll billig, billiger, am billigsten sein. Die Konkurrenz überbietet sich im Unterbieten. Dabei ist es eine Ungeheuerlichkeit, dass die Menschen sich ernähren – oder ihnen angedichtet wird, dass sie sich ernähren sollen -, ohne dafür einen angemessenen Preis zu bezahlen. Lebensmittel müssen etwas kosten dürfen. Wenn das nicht der Fall ist - was bleibt dann auf der Strecke? Ach ja, richtig, die Ware. Das Produkt. Die Qualität.

Billig ist nicht günstig

Wahrscheinlich haben viele Menschen wenig Geld, was nur deshalb der Fall ist, weil andere haufenweise davon haben. Die Wenigerbemittelten sind deshalb bestimmt froh, wenn sie billig einkaufen und das mühsam verdiente Geld dafür zum Beispiel der Krankenkasse oder dem Vermieter abliefern können.



Geht Coop mit den Lebensmittelpreisen runter, zieht Migros nach. Die Frage ist, wann der Preis auf null ankommen wird.



Aber die Sache hat einen Haken. Je billiger die Ware, desto weniger bleibt für die Löhne übrig, die die Grossverteiler bezahlen können. Der Preiskampf ist deshalb die verkehrteste, unsinnigste, schädlichste Sache, die es gibt. Die Gegenstrategie sähe genau umgekehrt aus: höhere Preise, höhere Löhne, mehr Wohlstand.

Es wäre eine schöne Sache, wenn Coop und Migros die Preise heraufsetzen anstatt senken und dafür mehr auf die Qualität achten würden. Sie hätten dann eine bessere ökonomische Ausgangslage, um anständigere Löhne zu bezahlen und die Lieferanten besser zu behandeln.



Essen als Gemeinschaftserlebnis. Die Juden sagen, man solle nicht alleine essen. Und sie sagen auch, man solle nicht alleine schlafen - aber das ist ein anderes Thema, wenngleich es auch eine Frage der Daseins-Kultur ist…



Für die Konsumentenschaft müsste das kein Nachteil sein. Sie wäre zwar gezwungen, tiefer in die Tasche greifen, würde dafür aber auch eine bessere Qualität bekommen und im Rahmen eines ausgleichenden ökonomischen Prinzips weniger brauchen. Dadurch wiederum könnte sie sparsamer einkaufen und würden erst noch etwas für die Gesundheit tun.

Wichtigste Lebenszeit

Die Idee, am Essen zu sparen, ist unfassbar. Von der Ernährung hängt unser Leben ab. Es ist fraglich, ob Geiz wirklich so geil ist. Er ist eher Ausdruck für eine Gier, die einfältig ist. Arbeit und Produkte müssen honoriert («belohnt» und «vergütet») werden. Mit wenig auskommen und gut damit leben - das ist ein hoher Ausdruck von Klugheit.

Die Werbung der Migros für eine neue «Produktelinie» von Fertiggerichten ist in diesem Sinn bezeichnend: «Mehr Zeit zum Leben.» Aber «mehr Zeit» wofür? Um vielleicht in die Glotze zu schauen? Im Stadion ein Lied aus zwei Vokalen («o-e, o-e, o-eee») zu singen?



Die Natur selbst ist der grösste Fastfood-Lieferant: Und man darf «in des Herrgotts Speisekammer» erst noch ohne schlechtes Gewissen in einen Apfel beissen, sofern man weder Adam noch Eva heisst…



Nein, nein, so geht es nicht. Die Zeit, die für die Zubereitung des Essens verwendet wird, ist eine zentrale Lebenszeit. Kochen ist keine Zeitverschwendung. Wenn ich koche, wähle ich die Produkte aus - Bio-Gemüse, Saison-Früchte, Olivenöl, auch wenn es teurer ist als andere Öle (siehe oben), wertvolle Zutaten -, richte sie mit Anteilnahme an und denke später beim Essen daran, was ich tue. Das ist wahre Lebenskunst.

Wieso bloss kommt die Migros auf die Idee zu suggerieren, es gäbe sinnvollere Dinge im Leben als das Kochen? Und wieso kommt Coop auf die Idee, Lebensmittel sollten billig, billiger, am billigsten sein?

Was geht in den Köpfen der Menschen vor, die so etwas in die Welt setzen?

Von Mitch Reusdal


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