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Artikel vom 17.09.2013

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Basel - Kultur

Kommentar

Matthias Gawriloff verlässt basel sinfonietta

Der alternative Klangkörper trennt sich von seinem Geschäftsführer

Von Jürg-Peter Lienhard



Auf Stellensuche: Matthias Gawriloff, seit 16. September 2013 alt Geschäftsführer basel sinfonietta. Foto zVg


Kaum eineinhalb Jahre, nachdem Matthias Gawriloff als Geschäftsführer bei basel sinfonietta die Nachfolge von Harald Schneider antrat, ist er bereits wieder freigestellt. In «gegenseitigem Einverständnis» heisst es in einem dürren Pressecommuniqué von Seiten des Vorstandes des alternativen Klangkörpers.

Zwar würdigt der Vorstand Gawriloffs Leistungen, die trotz der angespannten finanziellen Situation, bedingt auch durch den vor seiner Anstellung erfolgten Absprung von potenten Sponsoren, immerhin zu einer «ausgeglichenen Erfolgsrechnung 2012/2013» geführt habe. Auch die «Einführung einer langfristigen Planung und neue frische Impulse bei Solisten und Dirigenten sowie kreativer Programmideen» wird anerkannt. Doch sei der Grund der «einvernehmlichen Trennung», die im übrigen bereits am Montag, 16. September 2013, erfolgte, «die unterschiedlichen Auffassungen in der Führung des Klangkörpers».

Wer etwas mehr weiss, erstaunt die Begründung nicht ganz, obwohl sie gleichwohl ziemlich überrascht: Noch vor kurzem sah es ganz danach aus, dass sich das Plenum des selbstverwalteten Orchesters für einen Leiter an der Spitze erwärmen liesse, also gewissermassen die Programmation einem Chef überlassen könnte. Natürlich hätte das den Vorteil des personalisierten Auftrittes in der Person des «Direktors» Gawriloff gehabt. Damit wären die Entscheidungswege für ein Programm «der Marke basel sinfonietta» kürzer geworden.

Jedoch mochten diese Pläne noch so aussichtsreich geschienen haben, sie zielten doch ziemlich an der Geschichte und der Tradition dieses Klangkörpers und dessen Gründer vorbei; was durchaus plausibel erscheinen mochte, hatte gewissermassen «die Rechnung ohne den Wirt gemacht»: Der derzeitige Präsident ist auch einer der beiden Gründer-Initianten von basel sinfonietta. Der andere, der Musiker und Künstler Ruedi Linder, Ideengeber und Ideologe, hatte eine klare Vorstellung von einem bislang nirgendwo auf der Welt praktizierten «alternativen Orchester», das sich selbst verwaltet. Ein «Direktor» war von allem Anfang an unmöglich, vielmehr sollten basisdemokratisch Entscheide zum Programminhalt und zur -Auswahl, zum Engagement des Dirigenten und der Solisten gefunden werden.

Die Erfolge und damit der Ruf des Orchesters wuchsen in den vergangenen zwanzig Jahren stetig. Sein begeistertes Publikum liebte die unkonventionellen Programm-Ideen, aber auch die Qualität der Musiker, die sich gewissermassen als «Selbstverwaltete» mit jedem von den Medien ernannten «Star» spielend messen lassen konnten. Und wie zum Hohn von Boulez und anderen unantastbaren Meinungsträgern, die steif und fest behaupteten, dass es «Selbstverwaltung in der Kunst» nicht geben könne, reissen sich die namhaftesten Dirigenten darum, sogar honorarfrei die basel sinfonietta dirigieren zu können.

Doch nicht nur das Stammpublikum des in Basel liebevoll nur «sinfonietta» geheissenen Orchesters wurde älter und müder, sondern auch der Geist im Orchester hatte etwas vom Gründer-Elan abgegeben. Nicht etwa qualitativ, aber doch markant im Bewusstsein und damit im Selbstverständnis, dessen Boden ja stets die eigene Geschichte und die erfolgreich erarbeiteten Leistungen sind: Dem «revolutionär Alternativen» wich eine gewisse Routine, wenngleich auf höchstem professionellem Niveau. Die lange nach der Gründung Zugestossenen oder ganz Jungen schöpften ihr Selbstverständnis nicht aus überstandenen Kämpfen und errungenen Erfolgen, sondern setzten sich gewissermassen in ein «gemachtes Nest».

So gab es öfter mehr unfruchtbaren «Palaver», statt eines stolzen Dialoges aus gemeinsam gewonnenen Erkenntnissen zum Funktionieren der Kunst und der Kunst in der Politik. Möglich, dass Gawriloff da ansetzen wollte. Möglich auch, dass er da die Gründerfraktion, vorab den jetzigen Präsidenten Thomas Nidecker, etwas in seiner Bedeutung für die «sinfonietta» unterschätzte. Zumal dieser nicht gerade ein Hirsch in eloquenter Kommunikation ist und vielleicht da und dort vom sprachlich wie musikwissenschaftlich gewandten Gawriloff «überstimmt» wurde.

So heisst es schliesslich im Presscommuniqué lakonisch: «Diesen Wechsel in der Geschäftsführung nutzt der Vorstand der basel sinfonietta, um einen neuen Weg der Organisationsstruktur einzuschlagen.» Das war offenbar vonnöten, aber eben: anders als Gawriloff es sich vorgestellt hatte… Auf jeden Fall scheint mit dem Weggang von Matthias Gawriloff das orchestrale Schiff nicht führerlos: Der Steuermann geht zwar von Bord, aber das Ruder übernehmen zwei «Eigene» aus der Geschäftsleitung - wenngleich im Status von «Matrosen», wenn man beim Bild des Schiffs bleiben will: Felix Heri (Konzertorganisation) und Eva Ruckstuhl (Öffentlichkeitsarbeit). Sie sollen die Geschäfte der basel sinfonietta «in Enger Zusammenarbeit mit dem Vorstand» weiterführen. Will wohl heissen: als Ausführungs- und nicht als Kreativorgan.

Ganz keck und so, als sei man soeben aus demTunnel hinausgetreten, geht es im Communiqué dann nahtlos zur Tagesordnung über: «Unter diesen besten Voraussetzungen startet die basel sinfonietta, welche die vergangene Saison mit einer äusserst gelungenen Japan-Tournée beendete, mit grossem Elan in die Konzertsaison 2013/14 mit der Fortsetzung ihrer erfolgreichen Stummfilmreihe: Metropolis von Fritz Lang, Musik für grosses Orchester von Gottfried Huppertz, Schweizer Erstaufführung, Dirigent: Frank Strobel, 26. und 27. Oktober 2013 in der Dreispitzhalle. Und: Bereits anfangs Oktober gastiert das Orchester zudem am Grand Théâtre de Genève.»

Und was ist mit Matthias Gawriloff, Sohn des berühmten Geigers Sascha Gawriloff? Er hatte schon einmal einen «Abgang», vielleicht oder gerade wegen seiner direkten Art: In Bern, wo er immerhin Mario Venzago hinlocken konnte und mit ihm die Bruckner-Konzertserie aufgleiste. Die basel sinfonietta brachte er dieses Frühjahr 2013 auch dazu, Bruckner aufzuführen - mit notabene einem vom Basler Publikum überraschend frenetisch gefeierten russischen Dirigenten.

Gawriloff hätte zweifellos das Zeug dazu gehabt, als Direktor der basel sinfonietta dem Klangkörper aus Basel durch seine Ideen und Ansichten eine neue Etage im Orchesterhimmel zu widmen. Natürlich nicht ohne sie vorher einer Genralüberholung zu unterziehen - der Etage und nicht basel sinfonietta…

Einer seiner beiden leider nicht genügend besuchten Vorträge in Basel - der erste dokumentierte die Arbeit des Dirigenten und verglich Vorurteile mit der Wirklichkeit (nach Gawriloffscher Interpretation, dafür um so origineller). Der andere - auch dieser absolut originell und erstaunlich dokumentiert und illustriert, lautete: «Ist das Universum ein Klang?» Die Antwort, respektive die Antworten, waren unglaublich verblüffend: Gawriloff stieg mit dem Bibelzitat ein: «Am Anfang war das Wort» und ergänzte es kongenial: «…und das Wort war Klang.»

Päng. Gawriloff ist seit gestern nicht mehr bei basel sinfonietta. Ein starker Abgang - eine Schwächung von basel sinfonietta? «Einvernehmlich» bedeutet zumindest, dass nichts kaputtgegangen noch -gemacht worden ist. Immerhin! Weitermachen tun sicher beide - auf ihre Art halt…


Von Jürg-Peter Lienhard


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