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Artikel vom 08.01.2010

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Elsass - Allgemeines

Geiselnahme endete unblutig

Zwei Häftlinge im oberelsässischen Zuchthaus für Schwerverbrecher in Ensisheim ergaben sich nach 15 Stunden und liessen den gekidnappten Wärter unverletzt frei

Von Redaktion



Wenn die Eingreifgruppe GIGN der Gendarmerie Nationale aufgeboten wird, geben selbst hartgesottene Gewaltverbrecher auf: Übungsbild einer Intervention durch ein überraschend in die Mauer gesprengtes Loch.


Zwei unberechenbare Gewaltverbrecher hatten am Mittwochabend, 6. Januar 2010, gegen 17.15 Uhr, einen Wärter des tristen Gefängnisses von Ensisheim im oberelsässischen Ried unter einem Vorwand in ihre Zelle gelockt, ihn darauf überwältigt und mit seinen Handschellen an eines der Eisenbetten in der Zelle gefesselt. Die beiden Verbrecher gaben indessen nach 15 Stunden Geiselnahme im Verlauf des Donnerstagmorgens, 7. Januar 2010, auf, nachdem sie die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens einsehen mussten: Die Behörden hatten pausenlos verhandelt und ernsthaft die Intervention von Spezialtruppen aus Paris vorbereitet. Immerhin ist der Wärter wohlauf.

Die beiden mit Rasierklingen und Gabeln bewaffneten 30 und 46 Jahre alten Geiselnehmer drohten, dem gefangengenommenen Wärter einen Finger abzutrennen, sollten sie nicht in ein anderes Gefängnis verlegt werden. Die Drohung war sehr ernst zu nehmen, da die beiden Verbrecher als höchst unberechenbar eingestuft wurden. Unter der Leitung des oberelsässischen Präfekten Pierre-André Peyvel konnte zunächst mit den Geiselnehmern Kontakt aufgenommen werden, die sich aber später mit der Geisel in einen innenliegenden Gebäudetrakt des Gefängnisses zurückgezogen hatten.

Der Staatssekretär und Bürgermeister von Mulhouse als Delegierter des Justizministeriums, Jean-Marie Bockel, hatte erst am 12. Dezember 2009 das Gefängnis besucht und Verbesserungen von Hygiene und Haftbedingungen versprochen. Auch er begab sich nach Ensisheim und unterstrich dadurch den Ernst der Lage. In Paris wurde gar ein Krisen-Sonderstab einberufen, und eine zehnköpfige Eliteeinheit für brenzlige Interventionen traf noch in der Nacht in Ensisheim ein, während ein weiteres Spezialkommando von zwanzig Männern der Eingreifgruppe der Gendarmerie Nationale («détachement d’urgence», GIGN) sich in Paris bereit zum Abflug ins Elsass machte.



Das Hauptportal der Gefängnisverwaltung im Zentrum von Ensisheim.


Die beiden Geiselnehmer sassen in Ensisheim noch nicht lange ein, waren aber beide als Gewaltverbrecher zu mehrjährigen Strafen verurteilt: Der jüngere, Saïd El Ayad, wegen Raub mit Todesfolge zu 18 Jahren, der ältere, Sauveur di Rosa, wegen Kidnapping zu 13 Jahren.

Weil Ensisheim ehemals vorderösterreichische Residenzstadt war, beherbergt es ein Gefängnis - notabene eines der berüchtigsten in ganz Frankreich. Es befindet sich mitten im historischen Zentrum des Städchens an der Ill, schräg gegenüber dem Rathaus mit der typisch österreichisch-monarchisch gelben Fassade. Im Mittelalter ging unweit im Ried ein tonnenschwerer Meteorit nieder, dessen Schweif bis nach Basel sichtbar war. Und erst 1989 wurde Ensisheim von einem grossen Aufstand im Gefängnis heimgesucht, wobei mehrere Dutzend Gefangene Geiseln unter den Wärtern nahmen, sich aufs Dach flüchteten und einen Gefängnistrakt in Brand setzten.

Am 23. Februar 2008 gab es eine internationale Kundgebung, bei der die Freilassung des Mitglieds der linksextremen «Action directe», Georges Cipriani, gefordert wurde, der wegen angeblichen Mordes am Renault-Vorsitzenden Georges Besse von 1986 und am leitenden Ingenieur René Audran lebenslänglich in Ensisheim einsitzt.

Das Gefängnis der alten Residenzstadt besteht aus mehreren alten Gebäuden, die teils aus napoleonischer Zeit stammen und auf den Mauern eines Jesuiten-Ordens und dem Armenhaus errichtet wurden. Später beherbergten sie eine Textilfabrik, und nach Ende der Kolonialzeit 1938, als Verurteilte nicht mehr zu härtester Strafarbeit in die Kolonien verfrachtet werden konnten, wurden sie in Ensisheim untergebracht.

Die Zuchthausgebäude belegen ein Gelände von fast zwei Hektaren, die entlang der Ill von extrem hohen Mauern und Wachtürmen umfriedet sind. Die Zellen fassen um die 200 Häftlinge, alles langjährig verurteilte Schwerverbrecher, die aus allen Landesteilen stammen. Immer wieder kommt es zu Revolten und Zwischenfällen, weil die hygienischen und räumlichen Verhältnisse prekär sind, denn das Gefängnis ist chronisch überfüllt.



Demonstration vom vergangen Jahr für die Freilassung des wegen Doppel-Mordes verurteilten Linksextremen Cipriani.

Von Redaktion

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