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Artikel vom 08.09.2005

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Elsass - Kultur

Ausflugs-Tip fürs Wochenende

Besuch im salzigen Hades

Die Besichtigung der gewaltigen Industrie-Ruine «Mine Rodolphe» im Mnemopark Ecomusée d‘Alsace ist mit seinen multimedial unterstützten Rundgängen ein höchst spektakuläres Erlebnis

Von Jürg-Peter Lienhard



Gespanntes Warten der mit Grubenhelm und -Lampe bewaffneten Besucher am Eingang zum Salz-Hades.



Bilder-Serie am Schluss dieses Artikels. Alle Fotos: J.-P. Lienhard, Basel © 2005


UNGERSHEIM (ELSASS).- Die Wetterprognose für das kommende Wochenende ist geradezu ideal für einen Ausflug in den Mnemopark Ecomusée d‘Alsace: Es dürfte nicht mehr so heiss sein. Denn will man die zum Mnemopark gehörende Kalimine besichtigen, ist es am vergnüglichsten, wenn man sich vom Museums-Dorf mit einem historischen Doppelstock-Zug aus den dreissiger Jahren dorthin fahren lässt. Doch die Waggons sind eben «antik» und haben noch keine Klima-Anlage - bei dem Schneckentempo auf der Fahrt weht kein kühlendes Lüftlein durch die winzigen Öffnungen in den Panorama-Fenstern…

Manchmal ist es allein der ordinäre Ausruf, der zur Beschreibung eines Umstandes den Nagel auf den Kopf zu treffen vermag: Er ist «ziemlich auf den Arsch gefallen, vor Begeisterung»: Der Kulturjournalist Reinhardt Stumm von der baz und vom webjournal.ch hat sich die Dimensionen und die Attraktivität des Mnemoparkes Ecomusée d‘Alsace nicht im Traum so vorstellen können. Und dabei reichte ihm nicht einmal die Zeit für eine Besichtigung der Kalimine.

Die «Mine Rodolphe II», dem Museums-Dorf vorgelagert, ist die neuste Attraktion des Menomparkes Ecomusée d‘Alsace. In ihrem Schatten wurde das Dorf vor zwanzig Jahren auf einem kaliversalzten Gelände aufgebaut. Damals mit 19 Häusern eröffnet, ist es inzwischen aber auf die stattliche Anzahl von fast hundert Häusern angewachsen.

Idee endlich realisierbar geworden

Viele Besucher störten sich in der Vergangenheit an der «Industrie-Leiche» des mächtigen Gebäudekomplexes von «Rodolphe II», ohne zu wissen, welche wahnsinnig interessante Geschichte mit dem Kalibergbau verbunden ist. Dem war sich jedoch der Gründer des Ecomusée d‘Alsace, Marc Grodwohl, schon vor mehr als zwanzig Jahren bewusst. Und jetzt, mit dem 20. Geburtstag des Mnemoparkes ist sein Traum in Erfüllung gegangen: Die «Mine Rodolphe II», von deren riesigen Geäudekomplexen noch in den siebziger Jahren fast drei Viertel abgerissen worden waren, dem Publikum so zugänglich zu machen, dass es sich über die unglaublich spannende Geschichte der Entdeckung des Kalis im Elsass und dessen Ausbeutung ein Bild machen kann.

Die verbliebenen vier Gebäude und die unendlich langen Salzhallen sind indessen immer noch mächtig imposant. Der Förderturm und der Förderreiter, das höher als ein Hochhaus gebaute Fabrikationsgebäude und das Maschinenhaus für die Aufzüge zu den 700 Meter tiefer gelegenen Bergbau-Stollen sind allein vom Äusseren her ein Leckerbissen für jeden ambitionierten Hobby-Fotografen. Im mehrere Stockwerke hohen Hauptgebäude, darum herum und tief hinab wartet ein echt spannender und multimediamässig unterstützter Rundgang in mehreren Sprachen.

Die Vergangenheit braucht Zeit…

Aber Achtung: der Rundgang mit Zugfahrt dauert mehr als zwei Stunden; die Besichtigung des ganzen Mnemoparkes ist an einem Tag sowieso nur im Eiltempo zu schaffen. Wobei zumal das Museums-Dorf mit seinen betörend schönen Ecken, Winkeln, den vielen Fachwerkhäusern aus dem ganzen Elsass, den hochinteressanten Demonstrationen und den Museums-Gärten mit dem Freiland-Obst- und Gemüse-Museum sowieso nicht zur Eile nötigt, sondern eher zum bedächtigen Flanieren oder sinnigen Ruhen zwingt.

Die Minen-Besichtigung beginnt beim Dorf-Eingang, wo auch der wieder aufgebaute Bahnhof von Bollweiler steht, dem 1841 ersten gebauten Bahnhof an der ersten internationalen Eisenbahnlinie (Strassburg–Basel) des Kontinentes. Eine Diesellok der ehemaligen Minengesellschaft zieht, je nach Besucher-Frequenz, ein bis zwei doppelstöckige Panorama-Waggons aus den dreissiger Jahren auf einem teils neu gebauten, teils bestehenden Trassee zur Mine. Die Fahrt ist rund vier Kilometer lang und dauert etwa eine Viertelstunde gewissermassen im Schrittempo.

Das Teufelsvehikel «Scootbus»

Bei der Mine angekommen, werden die Passagiere in Klein-Gruppen eingeteilt, damit der Ablauf reibungslos vor sich geht und jedes Gruppen-Mitglied die gleichen Chancen zum Sehen und Verstehen hat. Schliesslich fassen auch die «Scootbus» genannten Minen-Fahrzeuge jeweils nur etwas mehr als 20 Personen, womit die Besucher zu deren Gaudi in einem Affentempo auf dem Gelände rumgekarrt werden. Dabei ist der Ausdruck «rumgekarrt» treffend: Die «Scootbus», schwere, niedrige und offene Diesel-Spezialfahrzeuge, transportierten in den 700 Meter unter Tag angelegten Stollen die Kumpels zu den teils Kilometer vom Einstieg entfernten Abbaustellen.

Der Chauffeur dieser niedrigen Kolosse warnte denn die Besucher, dass diese Fahrzeuge eben «industrielle» Verhikel und nicht touristische sind: Auch unter Tag war Zeit Geld, zumal schon die Anfahrt zu den Abbaustellen auf Kosten eines wesentlichen Anteils der produktiven Arbeitszeit ging.

Wiederbegegnung mit dem Birsigtal-Bähnlein

Die Gruppen werden nach den rasenden und holprigen Fahrten durch die Überreste des Minen-Areals zu den verschiedenen Besichtigungspunkten geführt. Ausgangspunkt ist die Bahnstation mit Caféteria, wo man diverse Dokumentationen, Bücher und Souvenirs wie Salzkristalle erstehen kann. Dann wird man zuerst in eine der riesigen ehemaligen Salzverabeitungs-Hallen geführt, wo grosse Museums-Objekte, wie Dreschmaschinen, ja auch Autobusse und eine ganze Zugskomposition des vor dem Verschrotten geretteten ehemaligen Birsigtal-Bähnleins (BTB) zusammen mit einem Motorwagen der Montreux-Oberland-Bahn (MOB) und Mani Matters «Nünitram» der Bern-Worb-Bahn (BWB) untergestellt sind.

Weiter gehts zu Fuss oder per «Scootbus» zur grossen Maschinenhalle, wo Motoren und Generatoren für die mächtigen Kabelrollen der Förderkörbe und Mannschaftslifte von zahlreichen freiwilligen ehemaligen Grubenarbeitern wiederhergestellt worden sind. Die Kabelrolle, die das 700 Meter lange und armdicke Aufzugskabel auf- oder abrollt, wird unter Getöse in Betrieb gesetzt. Allerdings sind nur noch ein paar Dutzend Meter des Kabels aufgewickelt. Die Förderschächte sind längst eingefallen; ein Einstieg in die Zeche ist nicht mehr möglich und wird es nie mehr sein.

Helm auf!

Dafür kann man die Zechen-Unterwelt im mächtigen Hauptgebäude dann sehr realitätsgetreu simuliert erleben: Ein moderner Lift hievt die Gruppen ins siebte Stockwerk, wo jedes Gruppenmitglied einen echten Grubenhelm mit LED-Leuchte über sein Haupt gestülpt bekommt. Am umgehängten Batteriekästchen ist auch ein Sender angebracht, der über die Kopfhörer am Helm in verschiedenen Sprachen sehr kurzweilige und höchst interessante Erläuterungen zu den vielen Objekten, Stationen und Grossbildschirm-Filmen aus dem tatsächlichen Grubenalltag abspielt.

Vom obersten Stockwerk des hohen Hauptgebäudes erblickt man dann die ganze Umgebung vom Schwarzwald bis zu den Vogesen. Man wird vorbeigeschleust an rostigen Überresten des mächtigen Maschinenparkes, der aus Motoren, Förderbändern und Transmissions-Aggregaten besteht, über dessen Verwendung der Laie wohl rätseln muss, aber vor allem staunt. Was da alles rumliegt und rumsteht, dunkel-rostrot, zuweilen schwarz, erklärt von selbst, warum eine komplette Restauration dieser seit Jahrzehnten ihrem Schicksal überlassen gewesenen Geräten nie möglich sein wird. Immerhin wird rasch klar, was Schwerindustrie heisst, was da für Kapital investiert worden war, und was Kapitalismus meint…

Funkgesteuerte Erläuterungen über Kopfhörer

Darauf heisst es die behelmten Köpfe einziehen, denn es geht in den «Stollen» - eine Nachbildung auf «touristische Art», also ohne die sonst in 700 Meter Tiefe herrschende Temperatur von über 40 Grad Celsius, ohne Staub und Dreck, aber eben auch so dunkel - wären da nicht die Helmlampen. In jedem Gang, an jeder Windung dieses mehrere Stockwerke hinunterführenden Multimedia-Parcours, erlebt man den Gruben-Alltag auf Grossbildschirmen, oft in mächtigen Spiegeln gespiegelt, damit aber auch alle das Geschehen verfolgen können.

Die Erläuterungen erfolgen dann jeweils in der gewählten Sprache ganz individuell über Kopfhörer - einfach, je nach Standort des Besuchers. Eine kurze Melodie gibt dem Besucher an, wann er weiterzugehen hat, so dass die Schar schön flüssig sich über die vielen Stockwerke und an den filmischen Illustrationspunkten vorbeigschleust wird.

Der Traum des Guts-Fräuleins Amalie Zürcher

Die Multimedia-Technik dieses Besichtigungs-Parcours ist echt bemerkenswert: Zuoberst im höchsten Stockwerk gibt es Spiegelsäulen, die sich automatisch in der Höhe verstellen und man dann durch die transparente Spiegelanordnung die Verwandlung der dahinterliegenden echten Landschaft miterleben kann. Diese eingespiegelten «Fata Morganas» illustrieren die Landschaftsveränderung von der Entdeckung des Kalis in diesem Gebiet Ende 19. Jahrhundert bis heute (2005). Eine typisch französische Spielerei vielleicht, aber genial ausgedacht!

Die Geschichte des Kalibergbaus im Elsass ist eine buchstäbliche Traumgeschichte, denn das Guts-Fräulein Amalie Zürcher träumte von einem Bodenschatz unter ihrem Bett im familieneigenen Herrengut von Staffelfelden. Es war die Zeit des Petroleums, und nach dem Traum beauftragte sie einen Geologen namens Joseph Vogt, Probebohrungen für Petrol auf ihrem Gut vorzunehmen.

Siebenschlaue Preussen…

Statt Petrol kam Kalisalz zum Vorschein, das die Berliner Labors - das Elsass war von 1870 bis 1914 wieder einmal deutsch - aber als «minderwertig» deklarierten, was schlicht gelogen war. Denn die Deutschen bemerkten sehr wohl, dass das Kali eine derart hohe Qualität aufwies, dass der deutsch-eigene Kaliabbau im Osten Deutschlands einpacken konnte.

Ja, und dann träumte unser Fräulein Zürcher wieder einmal, träumte, dass die Preussen sie bescheissen, und als wackere Elsässerin, sandte sie heimlich eine Bohrprobe an die Universität Besançon im unbesetzten Frankreich, wo kurz danach die hervorragende Qualität bestätigt wurde.

Zweiter Besuch ist gratis!

Diese Traumgeschichte vom elsässischen Kali, das dieser Gegend einen unermesslichen Reichtum bescherte und Abertausenden von Menschen während fast eines Jahrhunderts Arbeit gab, ist in jedem Sinne eine Traumgeschichte, die zwar schon in vielen Versionen beschrieben worden war, aber mit dem Zeitenlauf nun sein Ende gefunden hat: Die Vorkommen sind erschöpft, aber dem Mnemopark Ecomusée d‘Alsace ist damit ein unerschöpfliches Reservoir für tausend Geschichten und ebenso vielen Zeugen einer gloriosen Vergangenheit eröffnet worden!

Gehen Sie hin, mindestens einmal - nehmen Sie sich einen Tag Zeit. Und sollte Ihnen ein ganzer Tag nicht reichen, dann lassen Sie Ihr Eintrittsbillett am Eingang des Ecomusée abstempeln: Damit haben Sie Gelegenheit, zu einem zweiten, späteren Besuch innerhalb eines Jahres - dann aber gratis!




Einsteigen in den Doppelstock-Panorama-Waggon im Dorf-Bahnhof «Ecomusée - Gare» zur Fahrt in den Salz-Hades.




Ein Erlebnis ist die Fahrt im oberen Stock des Panorama-Waggons, wo die Temperatur mitunter so hoch steigt, wie es in 700 Metern Tiefe in den Kaliminen normalerweise war: über 40 Grad, denn in den dreissiger Jahren kannte man noch keine Klimaanlagen in den Eisenbahnen…




Ankunft nach einer Schrittempo-Fahrt im Güterbahnhof der Kalimine «Rodolphe II».




Wiedersehen mit den vor der Verschrottung geretteten Fahrzeugen der Birsigtalbahn, der Montreux-Oberland-Bahn und der Worb-Bern-Bahn in einer der mächtigen Salzhallen.




Aufsteigen aufs Teufelsgefährt «Scootbus» zum Höllenritt durchs Kaligelände. Das schwere Industriegerät brachte einst die Mineure an die Arbeitsstätten 700 Meter unter der Erde und Kilometer weit vom Einstieg in die Grube.




Die komplett restaurierte Aufzugshalle mit den imposanten Motoren.




Das ist die mächtige Seilrolle, auf der einst die 700 Meter Kabel der Förderkörbe aufgewickelt worden waren. Sie dreht sich zwar, aber es gibt keine Förderkörbe mehr, da die Schächte nicht mehr benutzbar sind. Im Vordergrund rechts der «Geschwindigkeitsmesser» des Aufzugs, der gut und gerne 50 Stundenkilometer auf- oder abfahren konnte…




Die Restauration der Maschinenhalle ist gut dokumentiert und belegt, welche Leistung die Freiwilligen der alten Arbeiterschaft der Mine zur Erbauung der Besucher geleistet haben!




Die freiwilligen Restaurateure haben sich mit ihren Namen auf den Wandfliesen verewigt. Es sind viele polnische Namen darunter - Abkömmlinge der ersten Mineure, die zur Gründerzeit der Minen-Industrie aus Polen geholt werden mussten, weil es im damaligen Agrarland Elsass noch keine Bergbau-Spezialisten gab.




Abfahrt mit der Höllenmaschine «Scootbus» zum Fabrikations-Hochhaus (rechts) und seiner Multimedia-Schau.




Der moderne, sichere Lift führt Besuchergruppen bis unters Dach des Fabrikations-Hochhauses, wo der Blick auf die Minen-Anlage und auf die Vogesen in der Ferne einem fast den Atem raubt. Die Hunderte von Fensterscheiben werden nicht mehr ersetzt; es wäre zu kostspielig und erst noch nutzlos.




Von einer anderen Seite sieht man im Vordergrund die mächtige offene Salzhalle, wo alte Maschinen ausgestellt sind und dahinter die Dächer des Museums-Dorfes. Am Horizont sieht man die Hügel des Schwarzwaldes.




Überreste des mächtigen Maschineparkes, der zu Beginn der siebziger Jahre stillgelegten Mine «Rodolphe II». Es gibt so viele davon, dass eine Restauration illusorisch ist. Aber auch so sind diese rostigen Elemente erst recht eindrückliche Zeugen einer verflossenen Industrie-Epoche.




Keiner zu klein, «Mineur» zu sein. Das macht den Kindern, ob gross oder klein, unheimlich Spass, sich mit Helm und Ohrhörern in den Salz-Hades zu begeben.




«Glück auf!», heisst der Gruss der Mineure, hier eben Minen-Touristen.




Die einzige gelungene Aufnahme aus dem stockdunkeln Multimedia-Stollen, wo die Filmbeiträge eben zu wenig Licht für Fotoapparate erzeugen: Die Besucher treten in den Stollen ein über mehrere im Fussboden aufleuchtende Bildschirme.




Ein Kubikmeter Salz aus 700 Meter Tiefe: Die roten Schichten sind Mineralsalze und Kali; die weissen sind Kochsalz.



Von Jürg-Peter Lienhard

Für weitere Informationen klicken Sie hier:

• Homepage des Mnemoparkes Ecomusée d'Alsace (französisch)

• Weiteres zum Mnemopark Ecomusée d'Alsace auf webjournal.ch

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